Übersetzungen

von Otto und Eva Schönberger

Proklos: Hymnen


I. <An Helios>

Höre mich, Herrscher vernunftvollen Feuers, goldzügelführend,
höre mich, Spender des Lichts, Herr auch des Schlüssels zur Quelle,
die das Leben erhält, der du auch in stoffliche Welten
reichen Strom des Einklangs von oben herab uns sendest.
5höre mich! Du wohnst ja über der Mitte des Äthers,
hast auch den leuchtenden Kreis, das Herz des Kosmos, inne
und erfüllst das All mit geisterweckender Denkkraft.
Die Planeten, umgürtet von deinen stets leuchtenden Feuern,
schenken in stetem, nie ermüdendem Reigen den Menschen,
10die auf der Erde wohnen, den lebenspendenden Regen.
Durch die wiederkehrenden Fahrten des Sonnenwagens
ist ja alles entstanden nach Ordnung der Jahreszeiten,
und das wilde Getöse der streitenden Elemente
endete, als du erschienest durch Macht des unnennbaren Schöpfers.
15Dir gehorchen die unbeirrbaren Schicksalsmächte,
weben sogleich den Faden des zwingenden Loses von neuem,
wenn es willst, du bist allmächtig und herrschest gewaltig.
Phoibos, der König des Gott gehorchenden Sanges, stammt ja
von deiner goldenen Kette, singt göttliche Weisen zur Leier
20und besänftigt die mächtigen Wogen des tosenden Werdens.
Aus deiner Unheil abwehrenden Schar wuchs, milde schenkend,
Paian, der Arzt, hervor, gab heilsame Vorschrift, erfüllte
unsere weite Welt mit überall heilsamem Einklang.
Man besingt dich als des Dionysos ruhmreichen Vater
25und als jauchzenden Attis in abgründig tiefer Stoff-welt;
andere priesen dich im Lied als feinen Adonis.
Vor dem Schlag deiner raschen Peitsche, der sie bedrohte,
ducken sich wilde Dämonen, die alle Menschen verderben
und unsern duldenden Seelen Leid und Unheil bereiten,
30so daß sie stets auf dem tosenden Meer des Lebens Schmerzen
leiden, weil sie unter das Joch des Leibes fielen
und das weithin leuchtende Schloß des erhabenen Vaters vergessen.

Du aber, bester Gott, von Feuer umkränzt und selig,
Abbild des Allerzeugers, der du unsere Seelen emporführst,
35höre mich an und reinige mich von jeglicher Sünde.
Nimm die tränenreiche Bitte entgegen und rette
mich vor Unheil und Schmach, bewahre mich vor Strafen,
mildere auch das scharfe, allsehende Auge des Rechtes!
Immer sollst du ferner durch Übel wehrenden Beistand
40meiner Seele beglückendes, heiliges Licht verleihen
und das tödliche, gifterzeugte Dunkel zerstreuen,
Laß mich Ruhm gewinnen; ich will auch nach Sitte der Ahnen
mich um die Gaben der schön gelockten Musen bemühen.
45Schenke, Herr, mir, wenn du so willst, zum Lohn frommen Wandels
bleibenden Wohlstand. Du kannst ja mühelos all dies vollenden,
da du unermeßliche Macht und Stärke besitzest.
Wenn mir jedoch durch Drehung der schicksalsträchtigen Spindeln
vom Umlauf der Sterne verderbliches Los herannaht,
50wende es ab von mir durch deine machtvollen Strahlen!

II. <An Aphrodite>

Wir besingen die ruhmreiche Kette der schaumgeborenen
Göttin und den königlich-machtvollen Quell, dem alle
Liebesgötter (unsterblich sind sie, geflügelt) entsprossen.
Manche treffen die Seelen mit geisterweckenden Pfeilen,
5daß sie, von Sehnsucht nach Aufstieg erfaßt, danach streben,
ihrer Mutter Palast, den feurig-hellen, zu sehen.
Manche strebten nach Willen des unheilwehrenden Schöpfers
auch danach, durch Geburt den Kosmos auf ewig zu mehren,
und erregten Seelen den Wunsch nach Leben auf Erden.
10Wieder andere kümmern sich stets um vielfältig-bunte
Hochzeitslieder und wollen so durch sterbliche Zeugung
das Geschlecht der leidenden Menschen unsterblich machen.
Alle besorgen sie Werke der liebeschaffenden Göttin.

Nun aber, Herrin, du kannst uns ja überall hören,
15ob du nun den mächtigen Himmel umfängst, dort, wo du,
sagt man, die Seele des ewigen Kosmos bildest,
oder ob du im Äther, über sieben Kreisbahnen waltend,
unüberwindliche Kräfte durch deine Ketten ausströmst,
höre mich an und lenke die mühsame Bahn meines Lebens,
hehre Göttin, mit deinen zum Rechten führenden Pfeilen,
hemme in mir den schaurigen Drang unfrommer Begierden!

III. <An die Musen>

Wir besingen, besingen das Licht, das die Menschen emporführt,
jene neun Töchter des Zeus mit glanzvoll tönenden Stimmen.
Ihr habt Seelen, die im Abgrund des Lebens treiben,
mit reinen Weihen durch Geist erweckende Schriften
5von unseligen Leiden erlöst im irdischen Leben,
habt auch gelehrt, über tiefem Vergessen der Spur zu folgen,
rein die Bahn zu gehen zu jenem verwandten Gestirne,
von dem sie abirrten, als sie einst zum Ort des Entstehens
fielen und nach Losen im irdischen Leben verlangten.

10Ihr aber, Göttinnen, hemmt mein ungestümes Begehren
und entflammt mich mit geisterweckenden Worten von Weisen!
Nicht auch soll mich die gottlose Menge weglocken dürfen
von dem heiligen, leuchtenden Weg, dem fruchtreifen Pfade.
Stets sollt ihr meine Seele dem Lärm der Menge entziehen,
15sie, die vielfach irrt, zum ewigen Lichte führen.
Honigreich sollt ihr sie machen aus euren geistnährenden Waben,
daß sie stets Ruhm gewinnt durch sinnerfreuende Rede.

IV. <Hymnos an alle Götter>

Hört mich, Gottheiten, an, ihr Führer zur heiligen Weisheit!
Ihr entfacht in sterblichen Seelen erhebendes Feuer,
zieht sie empor zu Göttern. Sie entrinnen der dunklen Höhle,
finden Reinigung auch durch geheime Weihen in Hymnen.
5Hört mich, machtvolle Retter, gewährt mir aus heiligen Büchern
reines Licht, zerstreut mir auch den Nebel, auf daß ich
den unsterblichen Gott von einem Mann unterscheide.
Nicht soll mich ein tückischer Dämon im Strom des Vergessens
seligen Göttern fern auf ewig gefangen halten,
10nicht soll die Seele, gestürzt in eisige Wogen des Werdens,
unwillig dort und endlos umherirren, soll nicht
durch einen schrecklichen Strafgeist die Fesseln des Lebens erdulden.

Götter ihr und Führer zu weithin leuchtender Weisheit,
hört mich an, enthüllt mir (ich eile zum Pfad des Aufstiegs)
Riten und Weihen, die heilige Worte uns lehren!

V. <An die lykische Aphrodite>

Wir besingen der Lykier Königin Kouraphrodite,
der einst, tief erfüllt von Leid abwehrendem Willen,
unserer Heimat Verwalter in gottgegebenem Ratschluß
in der Stadt ein heiliges Standbild aufrichten ließen.
5Dieses zeigt in Symbolen die geistige Ehe und Hochzeit
unserer himmlischen Aphrodite mit Feuer-Hephaistos.
Auch benannte man sie Olympische Göttin, da man
durch ihre Macht schon oft dem Giftpfeil des Todes entronnen.
Trefflichkeit wünschten die Väter, und so entsprang den Betten
10bei der Zeugung stets ein Geschlecht von herrlichem Geiste.
Überall herrschten Ruhe und Wohlstand in unserem Leben.

Nun empfange, Herrin, mein Opfer in schönen Worten,
bin auch doch ich selbst aus lykischem Blute entsprossen.
Hebe sogleich meine Seele aus Schmach zu hoher Schönheit,
15daß sie dem tödlichen Stachel des irdischen Wollens entrinne!

VI. <Hymnos, gemeinsam für die Göttermutter, Hekate und Ianus>

Gruß, vielnamige Mutter der Götter mit schönen Kindern!
Gruß dir, Hekate, machtvolle Göttin vor unseren Türen!
Gruß auch an Urvater Ianus, Gruß Zeus, dem ewigen, höchsten!

Füllt mir gnädig die Bahn meines Lebens mit hohem Glanze,
5schenkt auch Güter in Fülle, vertreibt böse Krankheit vom Leibe
und zieht meine Seele, die gierig nach Irdischem trachtet,
hoch empor, macht rein sie durch geisterweckende Weihen!
Reicht mir, ich bitte, die Hand, erschließt meiner Not die Wege,
die der Gott offenbart. Ich erblicke das herrliche Licht dann,
10das uns die Flucht aus dem düsteren Unheil des Lebens ermöglicht.
Reicht, ich bitte, die Hand, geleitet durch euer Wehen
mich, den Erschöpften, zum rettenden Hafen des frommen Glaubens.

Gruß, vielnamige Mutter der Götter mit schönen Kindern!
Gruß dir, Hekate, machtvolle Göttin vor unseren Türen!
15Gruß auch an Urvater Ianus, Gruß Zeus, dem ewigen, höchsten!

VII. <An Athene, die Göttin der Klugheit>

Höre mich, Tochter des aisgisführenden Zeus, entsprossen
väterlich zeugendem Quell und dem Anfang des heiligen Seiles,
mannhaft-schildbewehrte Tochter des mächtigen Vaters,
Pallas, erstgeboren, speerschwingend mit goldenem Helme,
5höre mich an. Empfange, du Hehre, geneigt dein Preislied
und laß meine Worte nicht achtlos im Winde verwehen.

Du hast die Göttern vertrauten Tore der Weisheit erschlossen,
schlugst die Götter bekämpfende Brut der Erdgiganten
und entrannst der wilden Begierde des geilen Hephaistos,
10wahrtest unversehrt den Gürtel jungfräulicher Keuschheit.
Auch das Herz des Bakchos bewahrtest du unzerstückelt,
als ihn einst in tiefen Räumen des Alls die Titanen
mit bloßen Händen zerrissen, und brachtest das Herz dem Vater,
auf daß nach geheimem Ratschluß seines Erzeugers
15aus Semele der Welt ein neuer Bakchos erwachse.
Machtvoll schlug deine Axt die Köpfe der triebhaften Hunde
jener allsehenden Hekate ab und hemmte das Wachsen.
Liebtest du doch die erhabene Macht geistweckender Tugend,
ziertest all unser Leben mit vielfachen Künsten,
20gossest geistige Schöpferkraft in unsere Seelen.
Du erstrittest die Stadtburg auf ragendem Hügel,
Herrin, als Bild des Beginns deiner mächtigen Kette,
liebtest das männernährende Land, die Mutter der Bücher,
trotztest dem göttlichen Anspruch des Vaterbruders,
25ließest die Stadt deinen Namen führen, gabst edle Gesinnung,
da, wo du oben am Hügel den Ölbaum aufsprießen ließest
als ein sichtbares Mal eures Streites für späte Geschlechter,
einst, als über die Kekrops-Kinder auf Antrieb Poseidons
mächtig tosender Wogenschwall aus dem Meer herandrang,
30der mit wilden, rauschenden Wassern das Land überschwemmte.

Höre mich an, die du heiliges Licht vom Antlitz ausstrahlst,
gib mir bei der Irrfahrt auf Erden den rettenden Hafen,
spende der Seele Erleuchtung durch deine hochheiligen Lehren,
schenke auch Weisheit und Liebe und hauche der Liebe Kraft ein,
35mächtig und stark, daß sie mich aus Tiefen irdischen Stoffes
wieder zum hohen Olymp emporführt, zum Sitz deines Vaters.
Sollte jedoch mich arges Vergehen im Leben bedrücken
(denn ich weiß, daß viele Taten mich vielfach belasten,
unfromme, die ich beging in unverständigem Sinne),
40dann sei gnädig, Retterin, rate mir mild und laß mich
nicht zu Opfer und Beute der schrecklichen Rächer werden,
wenn ich am Boden liege – ich nenne mich ja deinen Schützling
Schenke all meinen Gliedern standfeste, gute Gesundheit
und vertreibe die Horden verzehrender, arger Übel!
45Ja, ich bitte dich, Herrin, beende mit göttlichen Händen
gnädig mir das ganze Elend trostloser Schmerzen.
Schenke meiner Fahrt im Leben still wehende Winde,
Kinder, Gattin und Ruhm, auch Wohlstand, erwünschte Freude,
Kunst der Rede, gutes Gespräch mit Freunden, auch Klugheit,
50Abwehr gegen Feinde und Vorsitz im Rat der Gemeinde.
Höre, erhöre mich, Herrin! Zwar komme ich Vieles erbittend,
denn es zwingt mich die Not. Du aber erhöre mich gnädig.