Übersetzungen

von Otto und Eva Schönberger

Ocellus Lucanus: Vom Wesen des Alls


Zeugnisse

(1) Jambl, vita Pyth. 267: Es ist wahrscheinlich, daß von allen Pythagoreern die meisten unbekannt und unbenannt sind; von den bekannten aber lauten die Namen … aus Lukanien die Brüder Okkelos und Okkilos … die bedeutendsten Frauen bei den Pythagoreern waren … (auch) Bondaku, die Schwester von Okkelos und Ekkelos aus Lukanien.

(2) Censorin, de die nat. 4,3: Die altbekannte Lehre aber, nach der man glaubt, das Menschengeschlecht habe schon immer gelebt, hat zu Gewährsleuten Pythagoras aus Samos und Occelus aus Lucanien wie auch Archytas aus Tarent und so alle Pythagoreer.

(3) Philo, de aet. m. 12: Einige jedoch behaupten, nicht Aristoteles habe diese These (Ewigkeit des Alls) aufgestellt, sondern gewisse Pythagoreer. Ich stieß jedoch auf die Schrift des Okellos, eines Lucaners, mit dem Titel „Über die Natur des Alls“, in der er nicht nur darlegt, daß die Welt weder geschaffen noch unvergänglich sei, sondern dies auch mit überzeugenden Beweisen untermauert.

(4) Sextus, adv. math. 10, 316: Aus fünf Elementen aber ließen alles entstanden sein Okellos aus Lucanien und ihm folgend Aristoteles. Sie nehmen nämlich den vier Elementen noch ein fünftes, umkreisendes, zu und sagen, aus diesem bestünden die Himmelskörper.

(5) Lukian, pro laps. int. salut. 5: Der göttliche Pythagoras hat uns zwar nicht gewürdigt, ein eigenes Werk von sich zu hinterlassen, doch kann man aus Okellos Lucanus, Archytas und den weiteren Anhängern erschließen, daß Pythagoras am Anfang (von Briefen) weder „Sei gegrüßt!“ noch „Heil dir!“ schrieb, sondern befahl, sie sollten mit „Gesundheit Dir!“ beginnen. Alle seine Nachfolger wurden daher angehalten, wenn sie einander schrieben und etwas Ernsthaftes mitteilten, sogleich mit „Gesundheit Dir!“ zu beginnen. Diese Formel passe vorzüglich auf Leib und Seele und schließe alles ein, was für den Menschen gut ist. Auch das Dreieck und das Fünfeck (Pentagramm), das die Pythagoreer gegenüber ihren Gesinnungsgenossen gebrauchten, wurde von ihnen als „Gesundheit“ bezeichnet. Und überhaupt meinten sie, in dem Gruß „Gesundheit“ sei Wohlbefinden und Freude eingeschlossen, nicht jedoch ebenso in „Heil dir“ und „Gruß“ die volle Gesundheit. Manche jedoch nannten auch die Vierzahl, bei der sie den höchsten Eid schworen und die bei ihnen als vollkommene Zahl gilt, „Grundlage der Gesundheit“; zu diesen gehört auch Philolaos.

(6) Syrian. in Aristotelis Metaph. 175,7: Die Pythagoreer haben weder das Prinzip der Vielfalt relativiert noch die Untersuchung über die Sinnendinge ganz vernachlässigt; dies bestätigt die Schrift des Ekellos „Über das Wesen des Alls“, aus der das Werk (des Aristoteles) „Über Entstehen und Vergehen“ anscheinend fast ganz abgeschrieben ist, und das meiste aus (Platons) Timaios, aus dem die peripatetische Philosophie ihre Metaphysik weitgehend holt.

(7) Procl. in Tim. III 150 c: Manche andere, etwa die Anhänger des Okellos, Vorläufers des Timaios, teilten jedem Element zwei Kräfte zu, dem Feuer die Wärme und das Trockene, der Luft aber das Warme und Feuchte, dem Wasser das Feuchte und Kalte und der Erde das Kalte und Trockene; und dies steht bei diesem Mann (Okellos) in seinem Werk „Über die Natur“ (29).

(8a) Stob. 1, 20, 3: Okellos läßt die Welt ewig sein, sagt er doch in seinem Buch „Über das Wesen der Welt“ Folgendes (17): Zudem beweist die Ewigkeit auch von Gestalt, Bewegung, Zeit und Wesenheit, daß die Welt weder Anfang noch Ende hat. Ihre Gestalt hat nämlich die Form eines Kreises, und dieser ist überall gleich und gleichbleibend und hat daher weder Anfang noch Ende. Die Bewegung nun im Kreis kennt keine Abweichung und keinen Ausgang. Die Zeit sodann, in der die Bewegung erfolgt, ist endlos, weil das Bewegte keinen Anfang hat noch ein Ende finden wird. Das Wesen der Dinge aber ist nicht wandelbar und unveränderlich, kann es sich doch weder vom Schlechteren zum Besseren noch vom Besseren zum Schlechteren verändern.

(18) Da es nun im All ein Entstehen, aber auch die Ursache des Entstehens gibt und Entstehen vorliegt, wo Veränderung und Verlassen einer Grundlage erfolgen, und weil die Ursache des Entstehens dort einwirken kann, wo Gleichheit und Substanz der Grundlage vorliegen, ist es klar, daß zur Ursache des Entstehens Einwirkung und Bewegung gehören, zum Entstehenden hingegen Erleiden von Einwirkung und Bewegtwerden.

(8b) (24) Zuerst nämlich ist die Materie das Allaufnehmende, ist sie doch die gemeinsame Grundlage für alles. So ist ein potentiell wahrnehmbarer Körper das Erste; als Zweites nun kommen die Gegensätze wie Wärme, Kälte, Feuchtigkeit, Trockenheit. An dritter Stelle stehen Feuer und Wasser und Erde und Luft; diese Elemente nämlich verwandeln sich ineinander, während die Gegensätze sich nicht verwandeln.

(8c) Eine gänzliche Vernichtung der Weltordnung aber fand noch nie statt und wird auch niemals eintreten. Deshalb darf man auch denen nicht trauen, die behaupten, die Geschichte von Hellas beginne mit Inachos, dem König von Argos; sie hatte auch sonst keinen Anfang, sondern begann mit einer von selbst eintretenden Veränderung. Hellas wurde nämlich oft schon ein unkultivierter Ort und wird es auch wieder einmal sein, wobei es nicht durch Einwirkung von Menschen entvölkert wurde, sondern durch die Natur selbst, wobei das Land weder größer noch kleiner als zuvor wurde, sondern sich stets erneuerte und bis heute immer neue Anfänge nahm.

Daß es mit dem All nun im Ganzen wie auch mit dem Entstehen und Vergehen, das darin stattfindet, so steht und die ganze Zeit so stehen wird, wobei der eine Teil der Natur stets in Bewegung setzt, der andere aber stets bewegt wird, und der eine immer Einfluß ausübt, der andere aber erleidet, darüber habe ich oben bereits gesprochen.

(9) Stob. 1,26,1: Herakleides und Okellos behaupteten, (der Mond) sei eine von Dunst umgebene Erde.


Archytas wünscht Platon Gesundheit. Es freut mich, daß du von deiner Krankheit genesen bist. Das hast du mir ja selbst geschrieben und durch Lamiskos ausrichten lassen. – Was nun jene Schriftwerke angeht, so habe ich mich darum bemüht, reiste nach Lucanien und traf die Nachkommen des Okellos an. Die Werke über das Gesetz, das Königtum, über die Frömmigkeit und über die Entstehung der Welt sind in meiner Hand, und ich habe dir auch (Abschriften) geschickt. Die übrigen Schriften aber lassen sich derzeit nicht auffinden. Finden sie sich aber, sende ich sie dir.

Platon wünscht Archytas von Tarent Wohlsein und Erfolg. Die von dir übersandten Schriften habe ich mit größter Freude erhalten und bewundere ihren Verfasser in höchstem Grad, ja, dieser Mann scheint mir an Bedeutung seinen ruhmreichen Vorfahren gleichzukommen. Sie sollen ja Myrier gewesen sein (diese aber gehörten zu den unter Laomedon ausgewanderten Troern), ausgezeichnete Männer, wie uns die Sage überliefert. Meine eigenen Schriften, die du verlangst, sind noch nicht vollendet, doch sende ich sie dir so, wie sie eben sind. Bezüglich ihrer Verwahrung sind wir uns ja beide einig, so daß es keiner eigenen Mahnung bedarf.

Okellos aus Lukanien:
Von der Natur des Alls. DER <ewige> KOSMOS

I.

[1 – 2. Der Kosmos ist ewig und unvergänglich]

(1) Die folgende Schrift über die Natur des Alls verfaßte Okellos aus Lukanien, wobei er über einiges durch die klarsten Beweise von der Natur selbst gründlich aufgeklärt wurde, über anderes aber auch durch Vermutung, indem er das Wahrscheinliche durch Nachdenken mit dem Verstand zu erschließen versuchte.

(2) Ich meine nämlich, daß das All unvergänglich und unentstanden ist, bestand es doch von jeher und wird stets fortbestehen. Unterläge es nämlich der Zeit, würde es schon nicht mehr bestehen. Folglich ist das All unvergänglich und unentstanden.

[3 – 6. Falsche Meinung über Entstehen und Vergehen der Welt]

(3) Sollte nämlich jemand meinen, die Welt sei entstanden, dann müßte er herausfinden, wohin sie vergeht und aufgelöst würde. Das, woraus sie entstand, ist ja der Urgrund des Alls, und das, wohin sie wieder vergeht, wird dessen letzter Teil sein. Wenn nun das All entstand, entstand es mit allem, und wenn es vergeht, vergeht es mit allem. Dies aber ist unmöglich, und daher hat das All weder Anfang noch Ende, und so und nicht anders verhält es sich.

(4) Alles nun, was anfangs entstand, unterliegt auch der Auflösung und erfährt Wandlungen, einmal nämlich vom Geringeren zum Größeren und vom Schlechteren zum Besseren. Man nennt aber das, von wo aus die (erste) Veränderung einsetzt, Entstehung, und den Zustand, der erreicht wird, Höhepunkt. Die zweite Veränderung (erfährt etwas) vom Größeren zum Geringeren und vom Besseren zum Schlechteren, und man bezeichnet das Ende dieser Wandlung als Vergehen und Auflösung.

(5) Wäre also auch das Ganze und das All entstanden und vergänglich, dann veränderte sich das Entstandene vom Geringeren zum Größeren und vom Schlechteren zum Besseren, und folglich wird es sich auch vom Größeren zum Geringeren wandeln und vom Besseren zum Schlechteren.

(6) Wenn die Welt also entstand, erfuhr sie Vermehrung und Höhepunkt und wird wiederum Minderung und Ende erfahren. Jedes Wesen nämlich, das einer solchen Entwicklung unterliegt, hat drei Grenzpunkte und zwei Zwischenräume. Die drei Grenzen sind: Entstehung, Höhepunkt, Ende, und die Zwischenräume reichen von der Entstehung bis zum Höhepunkt und vom Höhepunkt bis zum Ende.

[7 – 9. Der Kosmos als Ganzes ist ewig und bleibend. Seine Einzelteile hingegen sind veränderlich; sie entstehen und vergehen]

(7) Das Ganze und das All aber bietet uns von sich aus für diese Annahme keinen Beweis. Weder nämlich sehen wir, daß es entstanden ist und gewiß nicht, daß es sich zum Besseren und Größeren wandelt oder daß es je schlechter oder minder wird; nein, es beharrt stets im gleichen Zustand und wird weiter so bleiben und sich selbst gleich und ähnlich sein.

(8) Die Hinweise nun <auf die Wandlungen der Einzelteile> und die Beweise dafür liegen vor Augen. Es sind die Ordnungen, die Symmetrien, die Formen, die Stellungen, Abstände, Kräfte, Geschwindigkeiten und Verlangsamungen (der Gestirne) zueinander und ihre Zahlenverhältnisse und Umlaufzeiten. Alles in dieser Art nämlich unterliegt der Wandlung und der Minderung entsprechend dem Durchlauf eines entstandenen Wesens. Zum Höhepunkt nämlich gehört auf Grund seiner Kraft das Größere und Bessere, zum Hinschwinden aber das Mindere und Schlechtere wegen seiner Schwäche.

(9) Als Allganzes nun bezeichne ich den gesamten Kosmos, hat er doch gerade deshalb seinen Namen erhalten, weil er aus allem zusammen wohl angeordnet ist. Er bildet ja das vollkommene und vollendete System der Gesamtnatur. Außerhalb des Alls nämlich gibt es nichts. Gibt es nämlich etwas, so gibt es dies nur im All und zugleich mit ihm alles; und dieses umfaßt alles, teils als wesentliche Teile, teils als Hinzuentstandenes.

[10 – 11. Die Teile der Welt hängen voneinander ab, der Kosmos jedoch als Ganzes ist autark und ewig]

(10) Was nun vom Kosmos umfaßt wird, stimmt mit ihm überein, der Kosmos hingegen harmoniert mit nichts anderem, sondern allein mit sich selbst. Alles andere nämlich besitzt keine autarke Natur, sondern bedarf zusätzlich einer Übereinstimmung mit Dingen außer ihm selbst, Lebewesen mit der Atemluft, die Augen mit dem Licht, die übrigen Sinnesorgane mit ihrem zugehörigen Objekt. So auch die Pflanzen zum Wachstum. Die Sonne, aber auch Mond und die Planeten ebenso wie die Fixsterne gehören als Teile zur allgemeinen Welteinrichtung, der Kosmos seinerseits jedoch ist keinem anderen zugeordnet, sondern nur sich selbst.

(11) Weiterhin wird die Wahrheit des Gesagten auch in folgender Weise wohl zu erkennen sein: Das Feuer nämlich, das etwas anderes erwärmt, ist aus sich selbst warm, und der Honig, der Süße erzeugt, ist aus sich selbst süß. Auch die Grundlagen von Beweisen, die Verborgenes aufzeigen, sind aus sich selbst einleuchtend und einsehbar. In gleicher Weise also ist etwas, was allem anderen Vollkommenheit verleiht, auch selbst, von sich aus, vollkommen. Auch ist das, was anderen Bewahrung und Dauer verleiht, durch sich selbst bewahrt und dauernd, und das, was anderen Harmonie verleiht, auch aus sich selbst harmonisch. So nun aber ist der Kosmos für alles übrige die Ursache des Seins, der Erhaltung und der Vollkommenheit. Folglich ist er durch sich selbst ewig und vollkommen und währt über alle Zeit hin und ist gerade dadurch Mitursache der Dauer des Alls.

[12 – 13. Das Universum ist ewig und wird weder durch eine Kraft von außen noch durch etwas in ihm selbst zerstört]

(12) Und überhaupt: Auch wenn das All aufgelöst wird, wird es entweder ins Seiende oder in das Nicht-Seiende aufgelöst. Daß es nun in das Seiende aufgelöst wird, ist unmöglich, denn es gibt keinen Untergang des Ganzen, wenn es sich in Seiendes auflöst (ist doch das Seiende entweder das Ganze oder ein Teil des Ganzen). Und es kann sich auch nicht ins Nichtsein wandeln, ist es doch unmöglich, daß ein Sein aus dem Dasein verschwindet oder sich ins Nichts auflöst. Folglich ist das All unvergänglich und kann nicht untergehen.

(13) Sollte freilich jemand annehmen, daß das All zerstört werden könnte, dann wird es entweder von etwas außerhalb von ihm überwältigt und zerstört oder von etwas im All selbst. Doch geschieht dies weder durch etwas von außen, denn außerhalb des Alls gibt es nichts, ist doch alles, was ist, im All selbst enthalten, und der Kosmos ist das Ganze und das All. Auch geschieht solches nicht durch etwas im All selbst, denn dies müßte dann größer und mächtiger sein als das All. So etwas aber gibt es nicht, denn alles im All wird vom All angetrieben und dementsprechend auch erhalten und zusammengefügt und hat (von diesem) Leben und Seele. Wenn das All aber weder durch etwas von außen noch durch etwas in ihm zerstört wird, dann ist der Kosmos demnach auch unzerstörbar und unvergänglich; denn vom Kosmos sagten wir, er sei das All.

[14 – 16. Das All, im Ganzen gesehen, erhält Fortdauer von der höchsten Seins-stufe (dort Kreislauf ohne Wandlung) und übermittelt die Dauer in gesetzmäßi-ger Weise allem Vergänglichen (2. Rang; Elemente: Fortdauer im Wechsel der Qualitäten)]

(14) Weiter: Wenn man die ganze Natur in all ihren Teilen betrachtet, so mindert sie deren Zusammenhalt, ausgehend von den ersten und wertvollsten Teilen, schwächt ihn je nach Rang, wendet dieses Verfahren schließlich auf alles Sterbliche an und läßt (dabei) einen (qualitativen) Wandel der Substanz zu.

(15) Die ersten Dinge nämlich, die sich nach gleichem Gesetz bewegen und so einen Kreis durchlaufen, lassen keinen qualitativen Wandel ihres Wesens zu. Die Dinge nun zweiten Ranges sind Feuer, Wasser, Erde und Luft, denn sie wechseln nacheinander und fortwährend ihre Grenze, nicht jedoch, was ihren Ort angeht, sondern was ihre Wandlung betrifft. Feuer nämlich erzeugt, wenn es sich verdichtet, Luft, Luft aber Wasser und Wasser Erde, und von der Erde aus erfolgt wieder der gleiche Kreislauf des Wandels bis zum Feuer, von dem aus der Wandel begann.

(16) Die Feldfrüchte aber (drittens) und die meisten aus Wurzeln wachsenden Pflanzen erwachsen anfänglich aus Samen, und wenn sie Frucht bringen und zur Reife brachten, sterben sie ab und gehen wieder in Samen über, wobei sich der natürliche Kreislauf vom Gleichen zum Gleichen vollzieht.

Die Menschen jedoch und alle anderen Lebewesen stehen weiter unten und überschreiten die allgemeine Regel der Gesamtnatur. Bei ihnen gibt es nämlich keine Rückkehr zur ersten Lebensstufe und auch keinen Wechsel im Wandel ineinander, etwa wie bei Feuer, Wasser und Erde; im Gegenteil: Die (Lebewesen) vollenden ihren vierteiligen Kreislauf gemäß dem Wandel der Altersstufen und lösen sich dann auf und verschwinden. Dies sind folglich Zeichen und Beweise, daß das All, das (alles) umfaßt, immerfort besteht und erhalten bleibt, seine einzelnen Teile jedoch und Hervorbringungen vergehen und sich auflösen.

[17. Kreisform und Kreisbewegung der Welt beweisen ihre Ewigkeit]

(17) Weiter nun beweist auch das Fehlen von Beginn und Ende bei der Gestalt (des Kosmos), bei seiner Bewegung, der Zeit und seinem Wesen, daß die Welt nicht entstanden und nicht vergänglich ist. Die Form seiner Gestalt ist nämlich der Kreis, und dieser ist überall gleich und derselbe (weshalb er auch weder Anfang noch Ende hat). In gleicher Weise gilt dies für die Bewegung (des Kosmos) im Kreis, die weder ein Überschreiten noch eine Abweichung zuläßt. Auch ist die Zeit, in der die Bewegung stattfindet, unendlich, weil das Bewegte weder einen Beginn hatte noch ein Ende nehmen wird. Und das Wesen der Dinge kennt kein Abweichen und keine Veränderung, weil es nicht so beschaffen ist, daß es vom Schlechteren ins Bessere oder vom Besseren ins Schlechtere übergeht. All dies beweist nun klar, daß die Welt nicht entstanden und unvergänglich ist.

II. BLEIBENDES UND VERÄNDERLICHES IM KOSMOS

[18 – 19. Bewegendes wohnt über dem Mondkreis (bleibend), Bewegtes unter ihm (veränderlich)]

(18) Vom Gesamten und vom All sei nun genug gesprochen. Da jedoch im All das eine hervorgebracht wird, das andere aber Ursache der Hervorbringung ist, und Erzeugung dort vorliegt, wo es Veränderung gibt und Wandlung der Substanz, und da die Ursache des Entstehens dort liegt, wo die Substanz sich gleich bleibt und grundlegend ist, geht daraus hervor, daß es sich bei der Ursache des Entstehens um Tun und Bewegung handelt, dort jedoch, wo etwas entstehen soll, um Erleiden und Bewegtwerden.

(19) Die zuteilenden Mächte (Moirai) selbst aber bestimmen und trennen voneinander ab den stets passiven Teil des Alls und den ewig bewegten und bewegenden. Die Grenze nämlich zwischen Unsterblichkeit und Erzeugung bildet die Mondsphäre. Alles ja, was oberhalb dieser und darauf liegt, hat das Geschlecht der Götter inne, und was unterhalb des Mondes ist, beherrschen Streit und Natur. Dort nämlich gibt es einen Wandel von Entstandenem und ein (Neu-)Entstehen von Vergangenem.

[20 – 24. Die Grundlagen des Veränderlichen und Entstehenden: Ein tastbarer Körper (Materie), Gegensätze (warm, kalt, trocken, feucht), Wesenheiten (Feuer, Wasser, Luft, Erde]

(20) Zu dem Teil nun der Welt, wo Natur und Entstehen die Herrschaft ausüben, müssen folgende drei Dinge zugrunde liegen: Erstens ein Körper, den man berühren kann und der für alles, was entstehen soll, die Grundlage bildet. Dieser Körper aber wäre allaufnehmend und Masse der Entstehung selbst und verhält sich zu dem, was aus ihm entstand, wie Wasser zum Saft, wie Stille zum Geräusch, Dunkel zum Licht und Stoff zum Werkstück.

(21) Wasser nämlich ist ohne Geschmack und Qualität im Vergleich mit dem Süßen und Bitteren und – in gleicher Weise – mit Scharf und Salzig. Ebenso verhält sich auch die Luft, (ursprünglich) ungestaltet, zu Geräusch, Rede und Melodie. Ebenso die Dunkelheit, die farblos und formlos ist, gegenüber dem Hellen, dem Gelben und Weißen. In gleicher Weise verhält sich der Stoff zur Bildhauerei und Wachsplastik. Potentiell also wohnen alle Dinge vor der Entstehung in jenem (Zugrundeliegenden), treten aber in die Wirklichkeit, indem sie entstehen und Wesenheit erlangen. Dieser eine Urstoff nun muß vorhanden sein, um Entstehen zu ermöglichen.

(22) Zum Zweiten aber bedarf es der Gegensätze, damit Veränderungen und Wandlungen geschehen, durch die der Stoff Formung und Einrichtung erfährt, und damit auch gegensätzliche Kräfte nicht am Ende über die anderen herrschen oder vom anderen beherrscht werden. Es sind aber diese das Warme, Kalte, Trockene und Nasse.

(23) Das dritte Erforderliche nun sind die Wesenheiten, die jene Kräfte besitzen; die Wesenheiten sind: Feuer, Wasser, Luft und Erde. Die Wesenheiten sind jedoch von den Kräften unterschieden; die Wesenheiten nämlich gehen am Ort durch einander zu Grunde, während die Kräfte weder zugrunde gehen noch entstehen, weil ihre Beschaffenheit körperlos ist.

(24) Von den vier Kräften sind das Warme und Kalte sozusagen ursächlich und schaffend, das Trockene und Feuchte aber sind Stoff und erleiden Einwirkungen. Ursprünglich aber ist das Allesaufnehmende der Stoff, bildet dieser doch die gemeinsame Grundlage von allem. Daher ist erstens der potentiell sinnlich wahrnehmbare Körper das erste Prinzip, zweitens aber die Gegensätze, etwa Wärme und Kälte und Feuchtigkeit und Trockenheit. An dritter Stelle nun kommen Feuer, Wasser, Erde und Luft. Diese nämlich gehen wechselseitig ineinander über, während die Gegensätze nicht übergehen.

[25 – 30. Bei Körpern gibt es Gegensätze; sie sind ursprünglich oder gemischt. Ihre Zugehörigkeiten, Extreme und Mittelwerte]

(25) Bei den Körpern nun gibt es zweierlei Gegensätze: Die einen Körper nämlich sind ursprünglich, die anderen aber sind aus den ersten Körpern (durch Mischung) entstanden. Warm also, Kalt, Feucht und Trocken gehören zu den ersten Gegensätzen, Schwer aber, Leicht, Dicht und Locker gehören zu den Gegensätzen, die durch die ersten entstanden. Es handelt sich dabei insgesamt um sechzehn: Warm, Kalt, Feucht, Trocken, Schwer und Leicht, Locker und Dicht, Glatt und Rauh, Hart und Weich, Dünn und Dick, Scharf und Stumpf. Alle diese aber können durch Berührung erkannt und beurteilt werden. Daher kann auch der erste Körper, in dem sich diese Gegensätze finden, durch Berührung wahrgenommen werden.

(26) Das Warme nun, das Trockene, das Lockere und das Scharfe sind Eigenschaften des Feuers, und das Kalte, das Feuchte, das Dichte und Stumpfe sind Eigenschaften des Wassers; das Weiche, Glatte, Leichte und Lockere gehören zur Luft, und das Harte, Rauhe, Schwere und Dicke eignen der Erde.

(27) Von den vier Elementen sind Feuer und Erde Übersteigerungen und Extreme von Gegensätzen. Feuer ist nämlich ein Übermaß von Wärme, ganz wie das Eis ein Übermaß der Kälte. Gefrieren nämlich und Sieden sind die Übersteigerung einer Eigenschaft, Sieden bei der Wärme, Gefrieren bei der Kälte. Wenn also das Eis eine Verfestigung von Flüssigem und Kaltem ist, dann ist auch das Feuer ein Sieden von Trockenem und Warmem. Aus diesem Grund kann auch weder aus Eis noch aus Feuer etwas entstehen.

(28) Feuer also und Erde sind Extreme, während Wasser und Luft in der Mitte stehen, da beide gemischte Gebilde sind. Es ist auch nicht möglich, daß ein Extrem allein existiert, nein, es muß auch ein Gegenteil da sein; auch können nicht (nur) zwei da sein, bedarf es doch eines (dritten) Mittleren, denn die Mitteldinge sind das Gegenteil der Extreme.

(29) Das Feuer nun ist Warm und Trocken, die Luft aber Warm und Feucht, und Wasser ist Feucht und Kalt, die Erde aber Kalt und Trocken. Der Luft und dem Feuer gemeinsam ist nun das Warme, dem Wasser aber und der Erde gemeinsam ist das Kalte, der Erde aber und dem Feuer gemeinsam ist das Trockene, dem Wasser aber und der Luft ist das Feuchte gemeinsam. Die besondere Eigenschaft ist jeweils beim Feuer die Wärme, bei der Erde das Trockene, bei der Luft das Feuchte und beim Wasser die Kälte.

(30) Bei Gemeinsamkeiten nun bleiben die (einzelnen) Wesenheiten erhalten; in ihren Besonderheiten jedoch wandeln sie sich, wenn ein Gegensatz den anderen überwindet, z. B. also die Nässe in der Luft das Trockene im Feuer besiegt und das Kalte im Wasser das Warme in der Luft und wenn das Trockene in der Erde das Feuchte im Wasser überwältigt, und wenn wiederum das Feuchte im Wasser das Trockene in der Erde überwindet und das Warme in der Luft das Kalte im Wasser und das Trockene im Feuer das Feuchte in der Luft. Und in dieser Weise erfolgen die Wandlungen und die neuen Machtverhältnisse in den Elementen durch wechselseitiges Entstehen aus einander. Der zugrunde liegende Körper, der die Veränderungen empfängt, ist das All-Aufnehmende und die erste potentiell berührbare Substanz.

[31 – 32. Wandlungen von Elementen im Kreislauf von Erde zu Erde]

(31) Es erfolgen aber die Wandlungen entweder von Erde in Feuer oder von Feuer in Luft und aus Luft in Wasser und aus Wasser in Erde. Und drittens dann, wenn das in jedem (Element) vorhandene Gegensätzliche zugrunde geht, das Gleichartige und Verwandte jedoch übrig bleibt.

(32) Entstehung also geschieht, wenn ein Gegensätzliches zugrunde geht. Da nämlich das Feuer warm und trocken ist und die Luft warm und feucht, haben beide gemeinsam das Warme. Nur dem Feuer eigentümlich hingegen ist das Trockene, der Luft aber das Feuchte. Wenn nun das Feuchte in der Luft die Oberhand gewinnt über das Trockene im Feuer, dann wandelt es das Feuer in Luft. Und wenn wiederum das Wasser feucht und kalt ist, die Luft jedoch feucht und warm, dann haben beide gemeinsam das Feuchte, als eigentümlich jedoch besitzt das Wasser die Kälte und die Luft das Warme. Wenn nun die Kälte im Wasser stärker ist als die Wärme in der Luft, dann erfolgt der Wandel von Luft in Wasser.

Wiederum, da die Erde kalt und trocken ist, das Wasser hingegen kalt und feucht, dann haben beide die Kälte gemeinsam, für sich jedoch hat die Erde das Trockene, das Wasser aber das Feuchte. Wenn daher das Trockene in der Erde die Übermacht gewinnt über das Feuchte im Wasser, geschieht der Wandel von Wasser in Erde, und (dann),von der Erde an aufsteigend, umgekehrt.

[33 – 35. Wandlung von Wesenheiten durch Vernichtung von Gegensätzen]

(33) Eine Umtausch-Wandlung erfolgt, wenn ein Ganzes ein anderes Ganzes überwältigt, weil zwei Kräfte von diesen Ganzen ihre Gegenkräfte vernichten, mit denen keinerlei Gemeinsamkeit besteht. Da nämlich das Feuer warm und trocken, das Wasser aber kalt und Feucht ist und nun das Feuchte im Wasser Übermacht über das Trockene im Feuer gewinnt und das Kalte im Wasser über das Warme im Feuer, dann erfolgt die Wandlung von Feuer in Wasser. Und wenn wiederum die Erde kalt und trocken ist, die Luft hingegen warum und feucht und nun die Kälte in der Erde Oberhand über die Wärme in der Luft gewinnt und die Trockenheit in der Erde die Feuchtigkeit in der Luft besiegt, dann erfolgt der Wandel von Luft in Erde.

(34) Wenn dann das Feuchte in der Luft vergeht und auch im Feuer das Warme, dann wird aus diesen beiden (zusammen) Feuer. Es bleibt ja von der Luft das Warme und vom Feuer das Trockene übrig, und so ist das Feuer warm und trocken. Wenn aber die Kälte der Erde und die Feuchtigkeit des Wassers vergeht, dann entsteht aus diesen beiden zusammen Erde. Übrig bleibt ja von der Erde das Trockene und vom Wasser das Kalte. Die Erde aber ist kalt und trocken.

(35) Wenn jedoch die Wärme der Luft und die Wärme des Feuers dahinschwinden, dann erfolgt keine Entstehung, bleiben doch von beiden nur die Gegensätze übrig, das Feuchte der Luft und das Trockene des Feuers, und Feuchtigkeit und Trockenheit sind Gegensätze. Und wenn wiederum in der Erde die Kälte schwindet und dies gleichfalls im Wasser geschieht, ist auch so keine Entstehung möglich. Es bleibt nämlich von der Erde das Trockene über und vom Wasser das Feuchte, und Trocken und Feucht sind Gegensätze. – So nun haben wir in gebotener Kürze über die Art der Entstehung der ersten Körper und deren Grundlagen gesprochen.

[36 – 37. Zusammenfassung. Grundeinteilung des ewigen Kosmos in Bewegen-des (Tätiges) und Bewegtes (Leidendes)]

(36) Da nun der Kosmos unvergänglich und unentstanden ist und weder ein anfängliches Entstehen kannte noch je ein Ende finden wird, muß auch sowohl das, was in etwas anderem Entstehen erzeugt, wie auch das, was (etwas) in sich selbst erzeugt, zusammen vorhanden sein. Das, was die Entstehung bewirkt, ist alles oberhalb des Mondes angesiedelt. Näher jedoch steht die Sonne, die entsprechend ihren Annäherungen und Entfernungen die Luft fortwährend erwärmt und dann wieder abkühlt, woraus sich die Mitfolge ergibt, daß sie auch die Erde und alles auf ihr umwandelt.

(37) Dazu paßt auch die Schräge der Polachse zur Sonnenbahn, ist doch auch sie eine Ursache des Entstehens. Insgesamt aber ist das All so eingerichtet, daß es in ihm ein Wirkendes und ein Leidendes gibt. Was nun (etwas) in einem anderen erschafft, ist das, was sich oberhalb des Mondes befindet; was jedoch in sich selbst etwas hervorbringt, liegt unterhalb des Mondes. Das aber, was aus diesen beiden (Teilen) besteht, einem göttlichen Teil, der stets in Bewegung ist, und einem erschaffenen, der stete Wandlung erfährt, ist also das Universum.

III. DER MENSCH IM KOSMOS

[38 – 39. Teile des Alls. Der Mensch ist ein Teil des Alls]

(38) Der erste Ursprung des Menschen nun geschah nicht aus der Erde, wie auch nicht der Ursprung der anderen Lebewesen und Pflanzen; nein: Weil die Weltordnung ewig besteht, muß auch alles, was in ihr vorhanden und eingeordnet ist, mit ihr vorhanden sein. Erstens nämlich, weil der Kosmos ewig besteht, müssen auch seine Teile mit ihm bestehen (Teile nenne ich aber den Himmel, die Erde und das, was dazwischen ist und was man Höheres und Luftreich nennt; nicht nämlich ohne diese Dinge, sondern mit ihnen und aus ihnen besteht der Kosmos.

(39) Da also (zweitens) die Teile mitbestehen, muß auch alles, was sie einschließen, mit ihnen vorhanden sein, mit dem Himmel die Sonne, der Mond, die Fixsterne und Planeten; mit der Erde die Lebewesen, Pflanzen, Gold, Silber; mit dem Höheren und Luftigen die Lüfte, Winde und die Wandlung ins Wärmere und die Wandlung ins Kältere. Der Himmel nämlich besitzt die Eigenschaft, das Umschlossene zu umfassen, die Erde sodann die Eigenschaft, daß sie das auf ihr Gewachsene und Ernährte trägt, und das Höhere und das Luftreich die Eigenschaft, daß alles, was entsteht, in ihm entsteht.

[40 – 43. Ewigkeit des Menschengeschlechtes bei Sterblichkeit der Individuen; Fortbestand der Menschheit durch Zeugung]

(40) Da nun jedem dieser Teile eine bestimmte Art eingeordnet ist, die alles andere überragt, im Himmel die Götter, auf der Erde der Mensch und in der höheren Region die Dämonen, dann muß auch das Geschlecht der Menschen ewig währen, jedenfalls, wenn die Aussage zutrifft, daß nicht nur die Teile gemeinsam mit dem Kosmos vorhanden sind, sondern auch alles, was diese Teile umschließen.

(41) Untergänge und gewaltsame Wandlungen geschehen in den Teilen der Erde, wenn etwa das Meer den anderen Teil überschwemmt oder wenn die Erde selbst aufbricht und aufklafft infolge von Winden oder Wassern, die unvermerkt eindringen. Ein völliger Zusammenbruch jedoch der Weltordnung fand niemals statt und wird niemals eintreten.

(42) Daher darf man auch jenen, die behaupten, die Geschichte von Griechenland beginne mit Inachos, dem Argiver, ebenso wenig trauen wie der Rede von irgendeinem Uranfang. Zur Zeit des Inachos begann nämlich nur eine Veränderung. Oft ja wurde Hellas zum Barbarenland und wird es auch wieder werden, denn es wird nicht durch Menschen entvölkert, sondern auch durch Einwirkung der Natur selbst, wobei es weder größer wird noch geringer, sondern immer wieder ein neues Land und im Hinblick auf uns Neuland.

(43) Damit habe ich nun genug ausgeführt über das All und das Ganze, auch über Werden und Vergehen in ihm, wie es sich verhält und in aller Zeit verhalten wird. Der eine Teil der Natur ist dabei stets bewegt, der andere stets passiv, und der eine herrscht durchwegs, und der andere wird beherrscht. Was nun die Zeugung der Menschen durch einander angeht, und wie und durch wen sie in rechter Art geschieht (wobei Gesetz, Maß und fromme Gesinnung zusammenwirken), wird folgendes Verhalten wohl schön sein.

IV. MORAL BEI ZEUGUNG UND ERZIEHUNG

[44 – 47. Besonnene Kinderzeugung als kosmische Pflicht]

(44) Als erstes nun ist festzuhalten, daß wir uns nicht der Lust halber vereinigen, sondern um Kinder zu zeugen. Gott hat nämlich die Kräfte selbst, die Organe und das Streben nach Vereinigung den Menschen nicht zur Lust gegeben, sondern um für die ewige Fortdauer des Geschlechts zu sorgen. Da es nämlich nicht möglich war, daß ein sterblich Geborener am Leben der Götter teilhabe (die Unsterblichkeit des ganzen Geschlechtes war ja verloren), schuf die Gottheit für die Einzelnen einen Ausgleich, indem sie für stete, ununterbrochene Zeugung sorgte.

(45) Vor allem muß also bedacht werden, daß der Beischlaf nicht der Lust halber geschieht. Weiter nun ist zu bedenken die Zuordnung des Menschen zur Gesamtheit, ist er doch Teil eines Hauses, einer Stadt und, was das Größte ist, des Kosmos; und so muß er jegliches, was dort abgängig ist, ersetzen, jedenfalls wenn er nicht zum Verräter am eigenen Herd, an dem des Staates und an dem der Gottheit werden will. Mit einem Wort nämlich: Alle, die sich nicht zum Zweck der Kinderzeugung vereinen, vergehen sich an der erhabensten Ordnung der Gemeinschaft, und wenn jene Sünder dann in Zügellosigkeit und Ausschweifung zeugen, dann werden die Kinder Schurken und Unglückliche sein und verflucht von Göttern, Dämonen, Menschen, Familien und Staaten.

(46) Indem wir nun dies wohl bedenken, dürfen wir nicht gleich den vernunftlosen Tieren zum Liebesvollzug schreiten, sondern müssen das als notwendig und schön ansehen, was die Guten unter den Menschen als notwendig und schön erachten, nämlich daß die Häuser nicht nur mit vielen Menschen angefüllt werden und der größere Teil der Erde bevölkert wird (ist doch der Mensch das gesittetste und beste Lebewesen), sondern auch, was das Wichtigste ist, für viele Männer gesorgt wird.

(47) So nämlich werden (die Menschen) in Städten mit guten Gesetzen wohnen, auch ihre eigenen Häuser rechtschaffen verwalten und sich auch die Götter zu Freunden machen. Man kann ja sehen, daß sowohl das Barbarenland wie auch Hellas dann am meisten für ihre Verfassungen und politische Praxis geachtet werden, wenn sie nicht nur für eine hohe Zahl von Einwohnern sorgen, sondern auch für tüchtige Männer.

[48 – 51. Sorgfalt bei Wahl einer Gattin]

(48) Daher handeln viele fehlerhaft, die bei der Gattenwahl nicht die große Gefahr für ihr Wohl oder den Nutzen des Gemeinwesens bedenken, sondern (nur) auf reiche Mitgift und großen Einfluß der Sippe sehen. Statt sich nämlich mit einer jungen und schönen Frau zu verbinden, nehmen sie sich wohl eine zu alte „Braut“, und statt einer seelisch übereinstimmenden und weitgehend ähnlichen Frau heiraten sie eine steinreiche aus angesehener Familie.

(49) Natürlich gibt es dann statt der Harmonie Streit und anstelle gleicher Gesinnung Meinungsverschiedenheiten, und sie streiten miteinander, wer Herr im Hause ist. Die Frau nämlich, die an Reichtum, Ansehen der Familie und durch ihren Freundeskreis überlegen ist, will den Mann gegen alle Natur beherrschen, während er mit Recht kämpft und nicht die zweite Rolle spielen will, sondern die erste, es aber nicht fertig bringt, die Oberherrschaft zu gewinnen.

(50) Geschieht nun solches, dann kommt es dazu, daß nicht nur Häuser, sondern ganze Städte ins Unglück geraten, sind doch die Häuser Teile von Städten. Aus den Teilen aber setzt sich das All und das Ganze zusammen. So ist also anzunehmen, daß so, wie die Teile geartet sind, es auch dem Gesamten und Ganzen ergeht, das sich aus solchen zusammensetzt.

(51) Auch in den Künsten haben die Grundlagen große Bedeutung für die treffliche oder mißlungene Vollendung des gesamten Werkes. So kommt es zum Beispiel beim Hausbau auf die Grundlegung der Fundamente an, beim Schiffbau auf den Kiel, bei Komposition und Gestaltung von Liedern auf Spannung und Nachlassen der Stimme; in gleicher Weise haben auch Verfassung und Harmonie der Familien größten Einfluß auf eine gute oder schlechte Staatsverfassung.

[52 – 55. Keine verfrühte oder gar frevelhafte Verbindung!]

(52) Wenn man nun auf die Zeugung sieht, muß man folgendes beachten: Grundsätzlich muß man sich vor jeder Frühreife und Unreife hüten, denn weder bei Pflanzen noch bei Lebewesen trägt Unreifes gute Frucht; es muß eine bestimmte Zeit vor dem Fruchttragen herankommen, damit aus kräftigen und ausgereiften Organismen die Samen und Früchte entstehen.

(53) Daher muß man Knaben und Mädchen in zweckmäßigen und anstrengenden Übungen heranwachsen lassen und ihnen Nahrung geben, die zu einer arbeitsamen, maßvollen und ausdauernden Lebensführung beiträgt.

(54) Es gibt nun vieles, was zum Menschenleben gehört und bei dem es besser ist, wenn man es erst später kennen lernt. Daher muß man den Knaben so zum Liebesleben hinführen, daß er nicht vor dem zwanzigsten Jahr solchen Umgang sucht und wenn er darin eingeführt ist, nur wenig davon Gebrauch macht. So wird es aber sein, wenn er Gesundheit und Mäßigkeit als schön und ehrenhaft ansieht.

(55) Man muß aber solche Sitten zum Gesetz machen in den Städten Griechenlands, daß niemand mit seiner Mutter verkehren darf, nicht mit Tochter und Schwester, auch nicht in Tempeln oder an öffentlichen Orten. Ist es doch wohlgetan und nützlich, diesem starken Trieb möglichst viele Hindernisse in den Weg zu legen. Man muß überhaupt jegliche widernatürliche und frevelhafte Zeugung verhindern und nur erlauben, was in natürlicher Weise und unter Mäßigung zum Zweck einer besonnenen und gesetzlich erlaubten Zeugung geschieht.

(56) Auch müssen die Zeugenden große Vorsorge walten lassen für die künftigen Kinder. Die erste und würdigste Sorge besteht nun für den, der Kinder zeugen will, in einer vernünftigen und gesunden Ernährung, so daß er sich weder unzeitigem noch übermäßigem Genuß von Nahrung oder Wein hingibt noch irgend einer anderen Ausschweifung, wodurch sich der Zustand des Leibes verschlechtert. Vor allem aber muß man beachten, daß die Zeugung bei ausgeglichenem Gemüt geschieht; bei angegriffenen, unausgeglichenen, verwirrten Zuständen entsteht nämlich schwächlicher Samen.

(57) Man muß also mit allem Eifer und voller Aufmerksamkeit dafür sorgen, daß die Nachkommen möglichst wohlgebildet entstehen und, wenn sie geboren sind, in guter Ordnung heranwachsen. Es widerspricht ja jeder Gerechtigkeit, daß Pferdenarren, Hunde- und Vogelfreunde sich geradezu hingebend um den Nachwuchs sorgen: Wie er erzeugt werden muß, von welchen Eltern, wann es sein soll und in welchem Zustand Vereinigung und Zeugung erfolgen sollen und auch daß nicht Junge aus zufälligen Paarungen erwachsen. Und da kümmern sich die Menschen nicht um den eigenen Nachwuchs, zeugen, wie es gerade kommt, und sorgen sich nicht um Pflege und Erziehung der Kinder. Wenn man nämlich all dies vernachlässigt, führt es zu jeglicher Schlechtigkeit und Untauglichkeit und macht den Nachwuchs zur Herdenware und zu Taugenichtsen.

Fragmente

Stob. 1,13,2: Von Okellos. Okellos nannte „ursächlich“ etwas, wodurch etwas entsteht. Er sagt ja in seinem (Werk) „Über das Gesetz“ folgendes: Den Leib der Lebewesen hält nämlich das Leben zusammen, und dessen Ursache ist die Seele. Den Kosmos nun hält die Harmonie zusammen, und deren Urheber ist die Gottheit. Familien und Staaten erhält die Eintracht, und deren Urheber ist das Gesetz. Was nun ist die Ursache und Einrichtung dafür, daß der Kosmos alle Zeit hindurch harmonisch bleibt und niemals in Unordnung gerät, Staaten und Häuser jedoch nur kurze Zeit andauern? Was also entstanden und von Natur aus sterblich ist, bei dem bildet der Stoff, aus dem es besteht, auch die Ursache seiner Auflösung, denn er besteht aus wandelbarer und stets beeinflußbarer Materie. Das Hinschwinden nämlich von Entstandenem bewirkt den Fortbestand der zugrunde liegenden Materie. Das ewig Bewegte aber herrscht, und das ewig Gestaltete wird beherrscht, und das Erste besitzt die Macht, das andere jedoch ist ihm unterlegen, und so ist es auch beim Göttlichen, Geist- und Vernunftbegabten und andererseits beim Entstandenen und Vernunftlosen.

Stob. 3,9,51. Des Pythagoreers Ekkelos (Okellus) von Lukanien (Werk) „Über die Gerechtigkeit“. Ich denke, man darf die Gerechtigkeit als Mutter der Männer und als Amme aller weiteren Tugenden bezeichnen. Ohne sie nämlich kann niemand besonnen, tapfer, einsichtig sein. Sie bewirkt ja Harmonie, Frieden und Ausgeglichenheit der ganzen Seele. Deutlicher noch wird die Macht (der Gerechtigkeit), wenn wir die übrigen Beschaffenheiten überprüfen. Diese besitzen nämlich Nutzen nur für Teile und einzeln, die Gerechtigkeit jedoch für alles zusammen und allgemein. Im Kosmos nun ist es die Gerechtigkeit, welche die Herrschaft über das All gestaltet; sie ist Vorsehung, Harmonie und Recht, das ein gewisses Geschlecht der Götter in dieser Weise beschlossen hat. Im Staatsleben aber nennt man sie mit Recht Frieden und gute Verfassung. In der Familie sodann ist Gerechtigkeit die beiderseitige Einigkeit von Mann und Frau und die Ergebenheit der Diener gegenüber ihren Herren und die Sorge der Herren für die Diener. Im Körper und in der Seele (des Einzelnen) ist sie erstens das bei allen hochgeschätzte Leben, sodann die Gesundheit und die Unversehrtheit, auch Weisheit, die aus Erkenntnis und Gerechtigkeit erwächst. Und wenn Gerechtigkeit die Gesamtheit und alle Teile so lenkt und erhält und alles mit einander übereinstimmend und zugänglich macht, wie sollte man sie da nicht einstimmig allgemeine Mutter und Amme für alle nennen?

3 Johann, Lyd, de mens. 2,8 Wir wissen ja, daß die Dreiheit die Entstehung der Götter und ihre Stellung bewirkte, und zwar in gleicher Weise wie der Pythagoreer Okellos es in folgenden Worten ausspricht: Zuerst schuf die Dreiheit Anfang, Mitte und Ende.