Übersetzungen

von Otto und Eva Schönberger

Libanios: Rede an Aristeides zur Verteidigung der Tänzer. (Rede 64)


1. Ich weiß zwar, dass wir den würdigen unserer Freunde Anlaß zur Freude, allen aber, die uns weniger gewogen sind, Anlaß zur Schelte geben werden, wenn wir für etwas eintreten wollen, das irgendwie in Verruf gekommen ist. Doch sieht man, dass im Leben vielfach vieles, sowohl Gutes wie weniger Gutes, in falschen Ruf geriet, so daß manches gut Geartetes als schlecht galt, anderes dagegen, was zu Recht verachtet war, wieder zu Ansehen kam. So kann man jene mit Recht tadeln, die es unternahmen, für Tadelnswertes einzutreten. Da wir aber sehen, dass nicht überall das rechte Urteil obsiegt, ist es gewiß nicht unpassend, mit einer Rede jenen beizustehen, die man zu Unrecht tadelt. 2. Gerade solchen beizustehen, ziemt sich doch besonders, etwa denen, die zu Unrecht verklagt und verurteilt wurden. Wer sich aber davor drückt, etwas zu verteidigen, weil es übel angesehen ist, gebraucht eben das, was ihn zum Reden zwingen muss, zur Rechtfertigung seines Schweigens. Handlungen nämlich, die man bewundert, brauchen keine Helfer, weil sie – dieser Auffassung entsprechend – gut dastehen; dem abschätzig Beurteilten aber muss man zu Hilfe eilen wie etwa den weniger Bemittelten unserer Freunde. Sollten wir aber zaudern, jenen beizustehen, die man vor Schande bewahren soll, weil sie verklagt wurden, dann werden wir jeglichen <Gedanken an> Hilfe entwerten, da Leute, die in gutem Ruf stehen, keine Hilfe benötigen, jene aber, die Beistand brauchen, ihn nicht erhalten, weil man den Anschein befürchtet, für Unwürdige einzutreten. 3. Über solche nun, die mit uns in Feindschaft leben, braucht es nicht viele Worte. Hätten sie nämlich ihren Grund nicht, dann fände sich leicht ein anderer, fällt doch nichts leichter als üble Nachrede, wenn es einem nichts ausmacht, wenn er als Verleumder gilt. Meinen guten Freunden aber, die man irre gemacht hat, sage ich Folgendes: Macht euch für kurze Zeit von der Meinung frei, die ihr gerade von den Tänzern habt, und hört euch ohne Zwischenrufe meine Rede an. Und wenn ich Überzeugendes vorbringe und wenn meine Beweisgründe über die Vorwürfe obsiegen sollten, dann hört auf, etwas für verwerflich zu halten, was es nicht ist! Wenn jedoch meine Rede keine der jetzt herrschenden Ansichten umzuwandeln vermag, und wenn in eurer Seele auch nach meinem Vortrag die bisherige Meinung bestehen bleibt, dann nun mögt ihr behaupten, ich sei schlecht beraten gewesen, als ich mich zum Beistand von Schandkerlen machte.

4. Meine Zuneigung zu Aristeides ist wohl allgemein bekannt und ebenso, dass ich bei gegebener Wahl, entweder Midas an Reichtum zu übertreffen oder Aristeides in seiner Kunst ein wenig gleich zu kommen, mich sogleich für das Zweite entscheiden würde. Nicht nämlich an meinen Worten, als ich aussprach, ich liebe Aristeides, läßt sich – selbst wenn ich es nur vorgab – dies erkennen; nein, aus meinen Werken, auf die man mehr bauen kann, ersieht man, wie sehr mich der Zauber dieses Redners ergriffen hat. Denn dass ich, sooft ich Reden verfasse, in die Fußtapfen des Aristeides trete und versuche, meinen Stil dem seinen so weit wie möglich anzugleichen, und dass ich es als Gewinn meines Lebens ansehe, wenn ein Zuhörer äußert, <Aristeides und Libanios> seien einander ähnlich, dann, meine ich, zeigt dies höchst deutlich, dass ich diesen Redekünstler unter die größten zähle. 5. Meine Verehrung für Aristeides beweist aber gerade auch dies, dass ich gegen seine Rede Widerspruch einlege, bedeutet doch die Zustimmung zu seinen Grundsätzen große Ehre für ihren Urheber. Aristeides ist es ja, der am entschiedensten den Schriften der Vorfahren widersprach und dadurch höheres Ansehen gewann als durch seine sonstigen Reden; er meint auch nicht, dass hohes Alter mehr gilt als die Wahrheit. Wer also zögert, den Worten des Aristeides zu widersprechen, handelt gegen dessen Entschluß, sich gegen die Vorfahren zu wenden. Wer aber so gegenüber Aristeides verfährt, wie er gegen die Alten verfuhr, ehrt, indem er diesem Beispiel folgt, durch sein Bemühen die Werke dieses Mannes.

6. Wenn <Aristeides> nun die heutigen Lakedaimonier überreden will, die Tänzer zu vertreiben, begründet er seine Ausführungen mit dem Text der <spartanischen> Gesetze und behauptet, Lykurg kenne keinen Tanz, und dieser stehe auch nicht in den von Lykurg verfaßten Gesetzen, sei <in Sparta> auch nicht gebräuchlich und sei ungesetzlich. Da könnten <aber> die Lakedaimonier folgenden Widerspruch einlegen: „Was sagst du da? Zeiten und Umstände haben sich geändert, und ein gewaltiger Umschwung ist in allem eingetreten. Die einen Sitten sind abgekommen, und andere wurden <statt ihrer> eingeführt. Auch herrscht Sparta nicht mehr über beide <Mächte> in Hellas, sondern muss im Gegenteil mit allen anderen <Griechen> jenen gehorchen, von denen du selbst sagst, dass sie tüchtiger als die Alten sind [?]. Und da verlangst du von Tributpflichtigen, jene Bräuche zu üben, in denen sie lebten, als sie noch an der Macht waren, während sie sich <nun> bequemen müssen, beherrscht zu werden.“ 7. Ich könnte tausend <Gründe> nennen, um darzulegen, dass es <hier> nicht an der Zeit ist, sich auf Lykurg zu berufen. Man darf doch den Lakedaimoniern, die keinen Schild mehr tragen, weder grollen noch Vorwürfe machen, oder gar, wenn sie die heutige Zeit genießen wollen, bei ihrem Vergnügen Lykurgos auf sie loslassen. 8. Und selbst wenn sich <Aristeides>, wie ich sagte, nur auf Grund von Gesetzen gegen die Tänzer ereiferte, könnte ich <immer> noch nicht zugeben, dass er aus diesen einen Vorwurf gegen die Sache ableiten kann. Vieles nämlich, was bei anderen Stämmen offenbar anerkannt war, wurde aus Sparta durch Gesetze verbannt; zum Beispiel galt gastfreundlicher Empfang von Fremden überall als gute Tat, nicht jedoch bei den Spartanern. Sich auf eine Mauer zu verlassen, gilt als Zeichen von Geborgenheit; den Spartanern aber befahl ihr Brauch, ohne Mauern auszukommen. Reichtümer machten viele Städte groß, und Hellenen wie Barbaren strebten eifrig nach Reichtum, während <allein> den Lakedaimoniern ihre Sitten nahe legten, Bedürfnislosigkeit sei stärker als Reichtum. 9. Mit diesen Sitten und mit Lykurgos fiel es auch nicht schwer, die Tänzer am Auftreten in Sparta zu hindern. Weil aber <Aristeides> die Tanzvorstellungen gänzlich verwirft, sie eine Pest nennt und auch als Verderb der Zuschauer <bezeichnet> und der Schmährede noch <den Spottnamens> „Syrer“ hinzufügt, schien es mir eine Art von Verrat zu sein, wenn er selbst als Syrer und doch wohl guter Redner es vorzieht, seine Herkunft zu verschweigen und es vermeidet, durch Reden für die Sache <selbst> auch die ganze Nation <der Syrer> vor diesem Vorwurf zu schützen.

10. Daher unterließ es Aristeides, alle <zusammen> zu mahnen und sprach allein mit den Spartanern, wie sich wohl gut zeigen lässt. Weil er nämlich sah, dass für Reden gegen den Tanz nicht Stoff gerade im Überfluß vorhanden war, nahm er seine Zuflucht zu Sparta und zu den Bräuchen der Lakedaimonier, um den Mangel an Argumenten durch den Beifall der Hörer zu verdecken und seine Rede aus der dortigen Enge auf freies Feld hinauszuführen; so schwatzte er lang und breit über Männer wie Brasidas, Leonidas, Lykurgos, Herakles und die Dioskuren. Es gehört auch nicht viel Mut dazu, in einer Rede gegen die Pantomimen auch die Mimen mit einzubeziehen. Mußte er denn sachlich Getrennte in einem Vortrag behandeln, wo es ihm doch freistand, jede Sparte einzeln anzugehen und <gerade> solche Trennung für eine Prunkrede zu gebrauchen? 11. Er hoffte wohl, der bessere Ruf würde sich verschlechtern durch die Vertreter des schlechter Erscheinenden, und er könnte so den <üblen> Ruf der Mimen auch auf den Tanz (die Pantomime) übertragen. Ich jedoch glaube, erst später untersuchen zu sollen, ob der Beitrag der Tänzer das Leben zu fördern imstande ist. Jedenfalls wollte ich zeigen, dass mir der Kunstgriff des Aristeides, seine Vermischung der Künste, nicht verborgen blieb; zugleich wollte ich die Hörer mahnen, sich vor den Listen des Aristeides in Acht zu nehmen.

12. Zuerst nun ist es erstaunlich, dass wir bei den übrigen Künsten zugeben, dass die <lange> Zeit <ihrer Geltung> den Beweis ihrer Vorzüglichkeit darstellt, uns aber nicht vor dem Tanz schämen, den gerade seine lange Tradition ziert. Daß nun der Tanz sich dem ganzen All zugesellte, und dass, seitdem es den Himmel gibt, auch der Tanz vorhanden ist, und dass der Reigen der Sterne, der in seinem Lauf mit geheimer Harmonie und nach göttlichem Gesetz dahinzieht, schon in alter Zeit von den weisesten <Menschen> als Tanz bezeichnet wurde, <dies zu beweisen> überlasse ich den Erforschern der Himmelserscheinungen. Wer aber von denen, die – gleich wie – zu den Hellenen zählen, wüßte nicht, dass Hesiod von den Musen sagt, dass sie auf dem Helikon ihre Lieder ersinnen, dabei aber den Tanz nicht vernachlässigen, „ mit zarten Füßen um die veilchendunkle Quelle tanzen“ und, wie ich meine, dadurch die Quelle ehren, die sie zu ihrem Bad erkoren. 13. Auch scheint mir der Schwarm des Dionysos den Gott durch nichts anderes zu ergötzen als durch Tänze, und dass es die einzige Aufgabe der Satyrn und Pane ist, auf der Syrinx zu blasen und zu tanzen. Die Bakchen aber werdet ihr, auch wenn ich sie nicht erwähne, hinzufügen. So innig aber ist nun das Bündnis von Worten und Tanz, dass Pindar dichtete, Pan aber das Lied im Tanz darstellte und wir so den Walter der Worte und den Meister des Tanzes vereint sehen dürfen. 14. Wäre es nun den Musen beigekommen, um die Quelle zu tanzen, wenn es schimpflich war, oder hätte Dionysos gemeint, seine Schar lebe nach seinem Sinne, wenn sie dem Tanze lebe, oder hätte er den Tanz auf dem Schiff zugelassen, wenn er darin etwas Schimpfliches sah? Hat denn nicht auch der Tanz den Zeus, der dasselbe erleiden sollte wie seine Brüder, den Händen seines Vaters <einst> entrissen, als ihn die Korybanten umtanzten und verhinderten, dass Kronos <sein Wimmern> vernahm? 15. Homer aber singt, der Schild des Achilleus sei mit <der Darstellung von> Tänzern geschmückt, und wiederum zählt er Schlaf, Liebe, Gesang und Tanz auf, und er nennt den Tanz lobwürdig, während du <Aristeides> ihn mit Gewalt den schändlichen Dingen zuzählen willst. Dabei sehen wir doch, dass die Phaiaken bei Homer sowohl tanzfreudig wie auch gastfreundlich sind. Wenn es nun aber Sache der Gottesfürchtigen ist, Fremden freundlich gegenüber zu treten, und wenn es Streben der Gerechten ist, den Göttern gefallen zu wollen, und wenn es unmöglich ist, zugleich gerecht und verdorben zu sein, dann sind tanzliebende Menschen nie völlig verkommen; nein, sie können zugleich hochanständig sein und doch den Tanz nicht ablehnen.

16. Doch wollen wir, wenn es recht ist, Mythen und Dichter verlassen und uns solchen Städten zuwenden, die im Ruf guter Gesetze stehen. Alle nun sagen, die Kreter hätten die besten Gesetze gehabt und ebenso die Lakedaimonier, ob diese sie nun von den Kretern übernahmen oder aus Delphi vom Pythischen Gott. Es bekamen ja <auch> die Kreter ihre Gesetze von Zeus durch das Wirken des Minos. Passender könnte man fragen, ob nun wirklich Götter die Gesetze den Kretern oder den Lakedaimoniern schenkten, oder ob die Vorzüglichkeit jener Gesetze ihnen den Ruhm göttlicher <Urheber> verschaffte; in beiden Fällen ist anzunehmen, dass die Gesetze hervorragend waren. 17. Bei beiden Völkern aber scheint man dem Tanz eifrig gehuldigt zu haben, und zwar hielt man die dazu Willigen nicht nur nicht zurück, nein, <der Tanz> geschah unter gesetzlichem Zwang, so dass die Unterlassung des Tanzes einer Fahnenflucht gleichkam. Und was das Wichtigste ist: In Sparta waren alle übrigen Tätigkeiten auf die Altersstufen verteilt, während der Tanz sämtliche Lebensalter beherrschte und sowohl die Greise einschloß wie auch die Kinder und die mittlere Generation. 18. Jener aber, der besser als ganze Städte zum Beweis dienen kann, Sokrates, der nach dem Urteil des Gottes der weiseste aller Menschen war, auch er hielt den Tanz für einen Teil seiner Bürgerpflichten, und zu einer Zeit oblag er der Zwiesprache, zur anderen aber ließ er sich öffentlich beim Tanz sehen. Und da sollten wir von einer so alten Einrichtung, die auch bei allen Edlen als ehrwürdig und schön galt, unüberlegt und leichthin glauben, sie sei etwas Verächtliches?

19. „Ja“, wendet <Aristeides> ein, „der heutige Tanz ist nicht wie jener damals, und er ist nicht so geblieben, wie er früher war.“ Aber wie? Ist denn, bei allen Göttern, auch alles andere auf dem Stand geblieben, wie es früher war, Häuser, Waffen, Schiffe, Schmiedekunst, Malerei, Redekunst, Musik, Bildhauerei und Seefahrt? Unterschieden sich nicht schon die ersten Häuser von einer Hütte und waren sie nicht, wie sie hießen, <echte> Häuser? Konnte man nun den Schild nicht am Handgriff fassen und in Gebrauch nehmen? Auch fuhr man anfangs nicht über das Meer, und als man es befuhr, nahm es nicht sogleich Dreiruderer auf; als es dann aber große Seeunternehmen zuließ, gab es da nicht ganze Massen von Seefahrern, so dass <schließlich> Delos hoch überlegen und den Griechen zum Schrecknis wurde? 20. Und wie? Gab es die <Löt->Kunst des Glaukos von Chios schon gleich zu Beginn? Und erschien die <Mal->Kunst des Zeuxis nicht erst Jahrhunderte später? Und wann befürchteten die Menschen, Statuen könnten ihre Beine gebrauchen und fortlaufen? Diese Furcht entstand <erst> durch <Werke> aus der Hand des Daidalos. Den aber stellte der Nachfolger Pheidias stärker noch in den Schatten als Daidalos die eigenen Vorgänger. Auch hören wir, dass die Musik bis auf Archilochos und seine Zeit höchst einfach und ärmlich war und erst im Lauf der Jahre Fortschritte machte. 21. So war es wohl. Welche Meinung aber zur Redekunst sollen wir dir <Aristeides> zuschreiben? Waren etwa Antiphon und jener Menestheus, der Theseus anklagte, gleich gute Redner? Und glich wiederum Anthiphon selbst dem Demosthenes? Wenn aber Älteres besser ist, dann steht Demosthenes als Redner unter Antiphon und dieser wiederum unter Menestheus. Auch würde <Antiphon von> Rhamnus kaum zugeben, dass er besser als Demosthenes dastehen wolle, nicht jedoch wünschen, mehr als Menestheus zu gelten? Er wüßte ja, dass er jenem <Menestheus> überlegen, dem anderen <Demosthenes> aber unterlegen sei. 22. Auch behauptest du <Aristeides> ja wohl selbst, du habest die Redekunst nicht <nur> in ein paar Kleinigkeiten vorangebracht, und ich neide es dir wahrhaftig nicht, halte auch deinen Anspruch nicht für Prahlerei. Doch sage ich, dass es ungerecht ist, die eigenen Beiträge als nutzbringend für die Redekunst hinzustellen, nicht hingegen die Leistungen Früherer zu bewundern. Und wenn gerade der erwähnte Fortschritt die Tanzkunst voranbrachte, nenne ich es ein Zeichen schlechter Art, die Leistungen der Vorgänger nicht zu achten.

23. Nun wendest du ein: „Aber früher tanzte man anders!“ Dann haben die Vorläufer also nicht in gleicher Weise die Seeschlachten ausgetragen wie die Späteren, etwa wie Minos gegen die Karer, Paris gegen die Leute von Sidon, Achilleus gegen die Lesbier, die Korinther gegen die von Kerkyra, magst du nun die älteste Seeschlacht meinen oder jene, die um Epidamnos stattfand. Und wie nun ging es in älteren Seeschlachten zu? Da spielten die Schiffe keine große Rolle, sondern die Kämpfe wurden durch die Hopliten an Deck entschieden, und das Meer bot nur die Grundlage, während die Kämpfe selbst sich von solchen an Land in nichts unterschieden. Du hörst es ja genau bei Thukydides, wo es heißt: „Sie kämpften nach der alten, überholten Art“, und „die Seeschlacht war hitzig, nicht freilich durch die Taktik, sondern weil sie weitgehend einem Kampf zu Lande glich.“ 24. Naupaktos jedoch ließ später eine geringe Erfahrung im Seekampf nicht mehr zu, als die Peloponnesier mit ihren Schiffen einen Kreis bildeten, die Athener aber ein Schiff hinter das andere stellten, die Feinde umfuhren, sie auf engem Raum zusammendrängten und hart an ihnen vorbeiliefen. Dabei hielten sie die Aussicht auf einen Rammstoß durchwegs offen, verschoben jedoch die Ausführung, indem sie Hilfe durch den <Morgen->Wind abwarteten. Und wirklich kam dieser auf, die Spartaner gerieten gänzlich in Verwirrung, und die Athener konnten im rechten Moment angreifen. So siegten zwanzig athenische Schiffe über siebenundvierzig <Schiffe> der Lakedaimonier, wobei kluge Taktik die Masse zuschanden machte.

25. Bei der zweiten Seeschlacht indes hat man viel bei den Athenern, viel aber auch bei den Spartanern zu loben, am meisten freilich bei den Athenern, weil ein verfolgtes attisches Schiff ein leukadisches Schiff, das es verfolgte, in den Grund bohrte. Es verwendete nämlich als Wendepunkt ein Frachtschiff, das zufällig ruhig vor Anker lag, umfuhr es und konnte so das Verfolgerschiff seitlich rammen. 26. Hätte aber damals jemand den <athenischen Feldherrn> Phormion angegriffen und getadelt: „Was hast du für eine neue Taktik? Weshalb suchst du das offene Meer? Was willst du mit solchen Ausdrücken wie Durchfahrt, Kehrtwendung und Rammen? Warum überträgst du die Kunstgriffe der Wagenlenker auf die Seefahrt?“ Würde dir Phormion nicht entgegnen: „Darin besteht doch eine Seeschlacht, dass Schiffe zum Sieg führen, nicht aber Bogenschützen, die vom Verdeck aus schießen. Statt jedoch die Vorfahren zu bedauern, die jene Seetaktik nicht kannten, machst du jenen Vorwürfe, welche die vollendete Taktik entwickelten.“ Eben dies will ich auf unseren Fall anwenden: Es kann nicht sein, dass die heutige Tanzkunst schlechter ist als die frühere, wenn sie einen echten Fortschritt bedeutet. Die frühere tadle ich zwar nicht, sehe aber, dass die neue <Art> die Kunst zur Vollendung geführt hat.

27. „Doch“, entgegnet <Aristeides>, „es unterscheidet sich die neuere Kunst von der alten.“ Das ist schon wahr. Kommt es aber davon, dass man etwas vom bisherigen Zustand wegnahm oder diesem etwas hinzufügte? Hat nämlich <die Tanzkunst> etwas weggelassen und eine Verschlechterung herbeigeführt, dann tat sie Unrecht und sollte füglich aus der ganzenWelt verbannt werden, nicht nur aus Lakedaimon. Hat sie aber <die Sache> mit allem Eifer verbessert und vorangebracht, so dass sie das angenehmste Schauspiel gewährt, warum verwirft man sie dann? 28. Ein Beispiel: Bezeichnest du nicht den Tanz als harmonische Bewegung der Glieder in bestimmten Figuren und Rhythmen? Wirst du also jemand, der in dieser Sache träger ist, als schlechteren Tänzer ansehen, einen eifrigeren aber als besseren? <Antwort:> Ganz bestimmt. Bewegen sich nun die heutigen <Tänzer> schlechter als die alten? Wer könnte wagen, dies zu behaupten? Aber <die Heutigen bewegen sich> doch so viel mehr als jene <Alten>, die sich mehr bewegten als Sitzende. Werden wir ihnen daher den Fortschritt als Gebrechen anrechnen? Und werden sie durch die Fertigkeit, durch die sie überlegen sind, als unterlegen erscheinen? Und werden wir jene, welche die Anforderungen des Tanzes möglichst gut erfüllen, den anderen als unterlegen ansehen, die sich weniger gut bewegen? Werden wir denn auch einen rascheren Läufer als weniger tüchtig ansehen als den langsameren und den, der die Feinde auf allen Seiten tötet, für weniger tüchtig als einen, der nur einen Einzelgegner angreift? 29. Dann kannst du auch über die heutigen Wagenlenker herziehen, weil sie höchst geschickt und waghalsig sind, Listen anwenden und kein Zaudern kennen; sie lenken nicht nur ihren <eigenen> Wagen, sondern greifen sogar andere an, die vor ihnen sind, setzen fast nur auf die Schnelligkeit ihrer Pferde, sind zwar in der Kunst nicht unerfahren, aber doch keine Meister. Tadle dann auch einen, der den pyrrhichischen Waffentanz vorführt, wenn er den alten Tanz ein wenig übertrifft, gestatte dem Mann nicht den <modernen> Zusatz und hindere <so> die Könner in diesem Fach, etwas <Neues> zu erfinden. 30. Man tanzte anders <sagst du>, und dies stand einst in Ansehen. Heute bewegt man sich geschickter, und das mag sich nun durchsetzen. Oder sollen wir allen anderen Künsten zugestehen, dass sie durch neu Erfundenes Fortschritte machen, die Tanzkunst aber, wenn sie etwas Elegantes erfand, verdammen? Und sollen wir nicht auf den hören, der da sagt, in den Künsten sei der Fortschritt maßgebend?

31. <Nun sagt der Gegner:> „Bei Zeus! Die <Tänzer> sind eine Schande für Städte und Familien, und wer sich nach ihnen richtet, ist verloren, und hält man sich nicht von ihnen fern, gerät man ins schlimmste Unheil.“ Da hat man wahrhaftig einen tapferen Angriff mit Worten, der einem Sturzbach gleicht und <den Tänzern> alles nur mögliche Schlimme auf das Haupt lädt, doch findet sich nirgendwo ein stärkerer oder weniger starker Beweis. Wenn es nun genügt, vom Schlimmsten zu sprechen, und wenn der zitierte Vorwurf gelten darf, dann gibt es nichts Verworfeneres als die Tänzer, und <Aristeides> hat in seinen Schmähworten über sie nichts ausgelassen. Besteht jedoch ein Unterschied zwischen Beweis und übler Nachrede, dann wurden jene zwar beschimpft, doch gibt es keinen Grund, dem Vorgebrachten zu glauben. 32. Doch soll man sich die Vorwürfe auch im Wortlaut anhören. „Ich denke nämlich“, <sagt Aristeides>, „wenn jemand alle Laster im Menschenleben in zwei Teile zerlegte, deren einer diesen <Tänzern> zukäme, der andere aber allen anderen, dann wäre der zweite Teil geradezu ein Nichts im Vergleich mit dem ersten.“ Der Satz beweist große Heftigkeit, doch leidet die Aussage durch solches Ungestüm. <Die Rede> krankt an Übertreibung, und weil sie die Sache nicht bewies, verlor sie ihre Glaubwürdigkeit. Wer könnte denn zugeben, dass im Vergleich mit allem Sonstigen, was Menschen anstellen, die Fehler der Tänzer zahlreicher und schlimmer sind? Wollte man nämlich die Tänzer zu den Besten zählen, die in Worten oder Taten ihren Adel bewiesen, dann wäre das ebenso wenig gerecht oder erlaubt, wie es andererseits ungerecht wäre, sie für schlimmer zu halten als die ärgsten Verbrecher.

33. Gibt es aber wirklich jemand, der Aristeides glaubt, dass ein Tänzer, der das Wesen von Göttern darstellt, damit Schlimmeres tut als Tempelräuber, Diebe von Weihegeschenken, Zerstörer von Heiligtümern und Leute, die Götterbilder verbrennen? Wie? Sollen Tänzer wirklich schlimmer sein als solche, die ihr Vaterland verrieten oder als überführte Mörder in einsame Gegenden flohen oder die als Räuber das Meer befahren oder Grabräuber sind oder Giftmischer? Sind nun Vatermörder nur kleine Verbrecher neben den Tänzern? Und wie steht es mit jenen, die falsches Zeugnis geben? Und mit denen, die gegen alles Recht Dokumente fälschen? Was ist mit den Muttermördern, den Kindsmördern? Wie kam es dir denn bei, jeden Verbrecher für löblicher zu halten als einen Tänzer? 34. Schau doch unsere Gefängnisse an! Mit was für Leuten sind sie gefüllt? Mit den erwähnten Verbrechern oder mit Tänzern? Und welchen Sinn soll es haben, dass Städte Menschen, die ihnen <angeblich> das größte Unrecht antun, als Tänzer auftreten lassen, geringere Übeltäter jedoch ins Gefängnis werfen und für die einen Geldmittel sammeln und Zuschüsse geben, den anderen aber das Leben nehmen und zusammenlaufen, wenn man ihnen die Köpfe abhaut? Oder, beim Zeus, sind bei dem Unrecht, das sie von anderen erleiden, auch kleine Kränkungen unerträglich, das von Natur aus Unerträgliche aber leicht für sie zu tragen, <nämlich> ein Tänzer, der verbrecherisch handelt? Oder <ist es nicht widersinnig>, wenn ein Vater es nicht ertrüge, daß sein Sohn Unrecht tut, <Leute> aber, die <angeblich>von Tänzern Unrecht erleiden, diese verehren wie Perser ihren Despoten?

35. Weshalb nun zieht man <die Tänzer> nicht zur Rechenschaft? Weshalb werden sie nicht bestraft, wo sie doch alle an Schlechtigkeit hinter sich lassen? Erkläre es mir! Aber das wirst du nicht können, es sei denn, dass jene – beim Zeus! – bei ihren Untaten die Hadestarnkappe oder den <unsichtbar machenden> Ring des Gyges tragen, wodurch sie verborgen bleiben. Aber dir blieben sie ja nicht verborgen, da du ihre Verbrechen so tragödienmäßig ausposaunst – wenn es denn ihre sind. 36. Wenn aber die Herrscher und Wächter der Städte zwar Räuber in den Abgrund stürzen, andererseits aber im Theater sitzen und den Pantomimen Geschenke machen, was, glaubst du, tun sie damit? Lassen sie sich von Schuldlosen unterhalten oder ehren sie Schuldige? Und ist es das Gleiche, was sie bestrafen und ehren? Oder bedeutet es, dass man geringere Verbrechen bestraft, schwerere aber ehrt, jedenfalls wenn Tänzer für schlimmere Schurken gelten als Räuber.

37. „Sie haben ja“, behauptet <Aristeides> , „ein schändliches Leben geführt und bringen auch die Zuschauer ins Verderben, indem sie diese zum Schlechteren verführen.“ Hier scheint er nur einigen <wenigen> glaubhaft zu sprechen, doch widerlegt die Wahrheit seine Behauptung. Über beides will ich aber eigens sprechen, wenn mir das, was ich anfangs [3] von euch Hörern forderte, zuteil wird, nämlich dass man hier keinen Lärm macht.

38. Auf Grund welchen Rechtes sagst du, alle Tänzer hätten sich verschworen? Hast du das von Hellsehern gehört, sahst du, wie Richter ihre Stimme abgaben, oder hast du von Tänzern ein Geständnis bekommen? Wenn jemand nämlich ohne allen Zweifel unter die Verbrecher gezählt werden soll, muss Folgendes vorangehen: Anklage, Zeugenvernehmung, Verteidigung, Beweissicherung, Richterspruch; findet aber solches nicht statt, bedarf es eines Geständnisses. Sonst kannst du jeden Beliebigen als Mörder, als Ehebrecher, als Verräter bezeichnen. Ohne das genannte Verfahren ist aber der Ankläger <nur> ein Verleumder. Es wäre ja unerträglich, wenn in anderen Fällen ein Angeklagter, jedoch nicht Überführter als unschuldig gelten würde, jene aber, denen kein Ankläger erstand, die Schande von Überführten tragen müssen, und wenn das Ansehen anderer durch die Anklage nicht leidet, nicht gerichtlich Verklagte aber erleiden müssen, was Überführten zustößt?

39. Nun höre noch Weiteres: Es gibt Leute, die im Gefängnis sitzen, weil sie sich wider die Natur vergingen und die den Schimpfnamen nicht von sich weisen können, den man ihnen anhängt, weil sie das Schändlichste mit sich geschehen ließen. Wenn diese von jemand geschlagen und sogar niedergehauen werden, dann können sie weder zum Gericht rennen noch schreien noch die Gesetze anrufen noch Gerechtigkeit fordern. Das ist ja klar, denn an dem Tag, an dem sie sich gegen die Natur vergingen, beraubten sie sich selbst dieser Rechtsmittel. Willst du nun auch einen Tänzer ungescheut schlagen, ihm das Gewand zerreißen, sein Haupt verletzen und ihn zwingen, dabei zu schweigen? Du weißt doch, was <Tänzern> von Rechts wegen zusteht, wenn so ein Mißhandelter zum Richter rennt und sich beklagen darf. Gar viele werden mit ihm empört sein, und der entscheidende Richter wird den Gewalttäter bestrafen. Was hat dich denn also dazu gereizt, der ganzen Zunft Hurerei anzudichten?

40. „Willst du denn behaupten“, hält er mir entgegen, daß alle Tänzer anständig sind?“ Ich würde sagen, dass sich jedenfalls nicht alle zur Unzucht mißbrauchen lassen. Wenn nämlich das Urteil nach dem gefällt wird, was <allgemein> gesprochen wird, hört man zwar, dass manche ihre Jugendblüte nicht wahrten, doch gibt es auch solche, deren tadelfreier Wandel hohes Lob erhält. So berichtet man von einem <Tänzer> in Palaestina, der sich stets so sittsam betrug, dass er von den Spitzen der Stadtgesellschaft bei deren Kindern und Frauen eingeführt wurde und nirgendwo Anlaß zu Vorwürfen gab. 41. Und wahrhaftig, jenen Namensgleichen mit dem mythischen Rinderhirten <Paris>, vor dem die Göttinnen um den Preis der Schönheit stritten, jenen, der bei uns wie ein Stern erglänzte, hat der Redner <Hadrianos> aus Tyros, dessen Zunge Poseidons Macht besaß und der alles heftig erschütterte, bei seinem Tod so eindringlich beklagt und ihm eine so glanzvolle Leichenrede gehalten, dass ich nicht weiß, was er Größeres zu Ehren eines toten Sophisten erfinden sollte. Er hielt es jedenfalls für angebracht, <den verstorbenen> Tänzer gerade in solcher Weise zu rühmen. War er doch überzeugt, er würde sich durch die Lobrede auf einen Buhler selbst beschmutzen.

42. Wir sehen doch auch selbst, dass die meisten <Menschen> in ihrer Jugend behütet sind, die einen von den Müttern, die anderen von den Vätern, und es gibt auch manche, für die ihre Brüder anstelle der Eltern eintraten; <natürlich> verfluchen die Kerle, denen es um Knabenliebe geht, solche Aufpasser. Sehen wir <aber> nicht gleiche Fürsorge auch bei den Kindern der Tänzer? Später aber, wenn sie weniger gefährdet sind, brauchen sie solche Fürsorge nicht mehr. Zwar geben wir zu, dass Unbeschützte zu Fall kommen <können>. Doch haben sich nicht schon <auch> solche verfehlt, die Bewachung genossen? Es ist jedenfalls möglich, daß jemand, der den Tänzerberuf ausübt, unbescholten lebt. 43. Warum also sollten alle Tänzer sittenlos sein? Denn wenn auch nur ein einziger Vertreter dieser Kunst sich als tadelfrei erweist, hat nicht <jeder> Tänzer seine Jugendschönheit verkauft. Führte nämlich allein dieser Weg zur Kunst, und könnte man die Kunst nur gewinnen, wenn man seinen Leib entehrte, dann träfe gleicher Vorwurf alle, die sich dem Tanz widmen. Ist es aber möglich, auch als anständiger Mensch ein guter Tänzer zu sein, und dies erst recht, je weniger einer seinen Sinn vom Kunsteifer zur Lust wendet, dann dürfen wir nicht meinen, man brauche etwas, was nicht zur Kunst gehört, zu deren Ausübung. Es geht ja nicht an, Verirrungen von Künstlern zu Vorwürfen gegen die Kunst zu verwenden. Z. B. erlag auch ein Philosoph schon den Lockungen des Geldes. Machte ihn nun die Philosophie zum Sklaven des Mammon? Nein! Gerade die Philosophie lehrte doch, jegliches Gold zu verachten, soviel es auch gibt und entsteht. Wenn daher schlechte Naturanlage den Sieg über die Erziehung davontrug, dann ist der Mann zwar erbärmlich, doch behält die Philosophie ihre Würde. 44. Und weiter: Ein Arzt, den seine Kunst doch verpflichtet, Heilung zu bringen, hat einen Kranken mit Vorsatz sterben lassen. Ist nun Tötung Aufgabe der ärztlichen Kunst? Wahrhaftig nicht, sondern die Heilung! Jener Arzt aber war ein schlechter Vertreter seiner Kunst, und der Mord ist nicht der Kunst anzulasten. In gleicher Weise gilt: Wenn einer die Redekunst als Beruf erlernte, es aber vorzog, Buhlerei zu treiben, oder wenn einer als Wagenlenker den Bewerbern seine Jugendblüte hingab, dann hat weder der Wagenlenker Poseidons Gabe in Verruf gebracht noch der Redner das Geschenk des Hermes. Nein! Jene <Verirrten> sind unselig, während die Künste ihre Würde keinesfalls verloren. Und wenn nun ein Tänzer sich gierigen Schändern hingab, dann soll der Kerl samt seinen Liebhabern zur Hölle fahren. Zwar hat er höchst übel gegen sein eigenes Selbst gehandelt, doch keinesfalls hat er bewiesen, dass die Tanzkunst ein Übel sei.

45. Ich kann aber auch das Folgende als starkes Argument anführen, von dem ich selbst überzeugt bin: Wenn alle, die in anderen Berufen leben, Mann für Mann Nachahmer des Narkissos würden und ihre Eltern durch Wohlverhalten glücklich und angesehen machten und wenn der Vorwurf der Ausschweifung allein die Tänzer träfe, dann wäre es höchst unvernünftig, ja mehr noch: verrückt, jenen zu widersprechen, die diesen Beruf verdammen. Wenn jedoch Wohlverhalten oder sein Gegenteil nicht von der Kunst abhängt, sondern jeweils die Naturanlage – gleichviel welche – den Ausschlag gibt, weshalb sollten wir den Tanz anstelle des Charakters hassen? 46. Ich nämlich folge dem Urteil Pindars über die Naturanlage (er nennt sie das in jeder Hinsicht Mächtigste) und scheue mich nicht, <die Ansicht> des Euripides zu übernehmen. Was nun sagt Euripides über Helena, die ihre Haare behalten will, als diese am Grab ihrer Schwester geopfert werden sollen?

  Welch großes Übel ist für Menschen schlechte Art;
  Wie glücklich sind doch jene, deren Wesen taugt!

Aus ihrer Natur, sagt er, entstehen den Menschen Rechtlichkeit und schlimme Art. 47. Die Beständigkeit der Artung erläutert er aber an anderem Ort, indem er sagt:

  Der Schuft ist ja nichts andres als ein Schuft,
  Der Edle bleibt der Edle, der er ist.

Er will hier behaupten, keine Macht sei stärker als die Naturanlage, und es gäbe keine Kraft, mächtig genug, um diese Anlage zu ändern, wobei er dasselbe ausspricht wie Sophokles. Dieser sagt nämlich Folgendes:

  Denn was Natur dem Menschen gab, treibst niemals du ihm aus.

Vergebens bringst du ja Lernen und Wissenschaften ins Spiel, als ob du die Natur umschaffen  könntest. Was jene nämlich gab, ist fest verankert, und die Anlagen weichen nicht den Sitten, nein, sie sind stärker als jede Sitte. Und was beweist nun meine Rede? Wer sich eines anständigen Charakters erfreut, verfällt als Tänzer nicht der Unzucht. Jener aber, der von Natur aus zur Ausschweifung neigt, bringt es, auch angeleitet, nicht zur Selbstbeherrschung.

48. Deshalb haben schon manche, die mitten unter Erziehern und rings von vielen Augen beobachtet lebten, selbst unter Drohungen, Verängstigungen, Furcht vor Schlägen, <dennoch> alle diese Mauern übersprungen und sich mit Liebhabern eingelassen (so nämlich muss man es anständig umschreiben), und dies weshalb? Weil es schwer fällt, gegen seine Natur anzukämpfen. Doch weiß ich von einigen jungen Menschen, die schöner noch waren als Hyakinthos, nicht von ihren Eltern behütet und ohne Führung durch Pädagogen, auch ohne weitere Begleiter, und die die Augen zahlloser Betrachter auf sich zogen, die aber dennoch nie nach jemand anderem sahen, auch mitten unter vielen standen, die ihnen nachstellten; und doch erhoben sie sich über alle diese, gleichsam wie mit Flügeln. Ich möchte die brave Haltung von Waisenkindern nicht eigens anführen, damit niemand denken mag, ich rede von mir selbst. 49. Und wovon kommt diese Haltung? Hole dir die Antwort bei Euripides, der ja sagt, der Anständige lasse sich nicht einmal bei einem Bakchosfest verführen. Höre also auf damit, den Tanz zu verleumden, und wenn du einen zügellosen Tänzer siehst, dann sage dir selbst, dass dieser gewiß auch als Schuster oder Maurer ein Weichling sein könnte, und wenn du einen anständigen Maurer siehst, sage dir wiederum, dass dieser auch beim Tanz die Macht über sich selbst nicht verlöre.

50. „Die Tänzer“, so der weitere Anwurf, „lassen ihr Haar länger wachsen als Phaidra.“ Was wiegt das mehr als das, was man gegen die Thessalier vorbringen kann, die ihre Haare für den Spercheios<fluß> wachsen lassen? Denn die Tänzer lassen die Haare nur so wachsen, wie man es zu Ehren des Dionysos tut, des Schutzgottes der Theater; die Thessalier aber tun es zu Ehren ihres Flußgottes. Und wenn du nun als Vorwurf anführst, dass jemand sein Haar wachsen lässt, dann laß dir die „haarumwallten Achaier“ entgegenhalten, und wenn du die Pflege des Haares tadelst, dann führe dir die Lakedaimonier vor Augen, die bei den Thermopylen ihr Haar strählen und nach solcher Pflege die schönste Heldentat vollbringen. Sollte jedoch Haarpflege den Verlust der Tapferkeit bedeuten, wie hätten <die Spartaner> gerade im Entscheidungskampf ihre Haare geordnet? Und weshalb zeigten sie sich danach, als sie zum Kampf schritten, als wahre Männer? 51. Sollte aber jemand lang um die Teile des Hauptes herumreden und sich gegen langes Haar am Hinterkopf wenden, dann werden sich dies, bei den Göttern, jene nicht gefallen lassen, die von Euboia nach Troia segelten, und die mutbeseelten Abanter würden meinen, dass die Griechen ebenso damit beschimpft würden wie sie selbst, denn diese trugen nach dem Vorbild der Abanter langes Haar.

52. Ich habe aber auch, was Kleidung angeht, wahrlich keinen Grund, über die Lebensweise der Tänzer abzuurteilen. Kaum nämlich dürfte das Einnähen von Goldfäden in die Kleider jemanden schon gleich in Schande bringen, der über so etwas erhaben ist; sonst erlebten wir ja, dass man jene Priester unter die Unzüchtigen rechnet, die bei Festzügen mit golddurchwirkten Gewändern geschmückt sindt. Und selbst wenn einer behauptet, das bis zu den Knöcheln reichende Gewand und mancher sonstige Schmuck sei Zeichen weibischer Art, so ist doch diese Art von Kleidung noch kein schlagender Beweis für Unzucht. 53. Hätten nämlich die verschiedenen Arten der Gewandung solche Kraft und könnte sich der Charakter mit der Kleidung ändern, dann wäre es großartig, wenn sich die Leute im Gefängnis ausstaffierten wie Herakles und mithilfe von Löwenfell und Keule ihre Lebensart änderten. Doch ist dies unmöglich, wie auch kein Diener sein Schicksal vertauschen kann, wenn er das Gewand seines Herrn anzieht, mag er es nun heimlich tun oder mag es ihm der Herr Spaßes halber gestatten.

54. Dann scheint ja ein Athlet, der großspurig daherkommt, von Öl trieft und sich ein höchst übelriechendes Gewand übergeworfen hat, gerade in Männerkleidern sich wie ein Weib aufzuführen. Doch, bei allen Göttern, ist es zu verwundern, wenn den einen der Philosophenrock nicht zu vernünftiger Lebensführung anhielt, den anderen <aber> sein Wesen trotz solcher Kleidung besonnen sein ließ? Jene nämlich, die in Makedonien die Horde des Megabazos niedermachten (diese schweifte nach dem Mahl in Trunkenheit zu verwerflichem Liebesgenuß aus), und ebenso wenig jene, welche später die Tyrannis in Theben aufhoben und die Wachmannschaft der Lakedaimonier vertrieben, und in beiden Fällen als Weiber erschienen, waren durch die Kleidung nicht schon auch Weiber, sondern blieben <in Wahrheit>, ganz wie bisher Männer. Auch hatten sie sich zuvor nie anders aufgeführt.

55. Alle aber stimmen in folgenden zwei Punkten überein: Dass Achilleus der beste aller Helden war, die gegen Troia zogen, und daß dieser sich äußerlich als Mädchen darstellte und seine <männliche> Natur unter Kleidern versteckte. Hätte ihm diese <Verkleidung> aber schaden können, müßte man annehmen, Achilleus sei als der schlechteste Kämpfer nach Troia gekommen. Nun hing aber für die Hellenen alles von jenem ab, der Mädchenkleider trug, und die Griechen, weit entfernt, selbst Weiberkleider zu tragen, brauchten jenen, der sie trug, ganz so, wie sie bei Odysseus nach seiner vorgetäuschten Verrücktheit auch auf dessen Klugheit angewiesen waren. Dem Odysseus hatte ja sein vorgetäuschtes Treiben mit dem Tiergespann keineswegs den Verstand beschädigt. In gleicher Weise können weder Gang noch Miene noch Art der Kleidung noch mädchenhafte Erscheinung noch irgendetwas anderes stärker wirken als der eigene Charakter.56. Auch Zeus gab keineswegs seine eigene Natur bei den Verwandlungen auf, von denen wir hören; nein, er fügte sich zwar den Anforderungen seiner Abenteuer, war aber <dann> doch wieder derselbe. Und auch von Athene und allen anderen Göttern, die bei Gelegenheit ihre Gestalt ändern wollten, könnte man dasselbe sagen, nämlich dass sie zwar in niederen Gestalten auftraten, jedoch die eigene Götternatur behielten. Und ich denke, dass Götter die Vorbilder unserer Pantomimen waren, da sie geschickte Menschen durch ihre eigenen Verwandlungen anregten, alles nachzuahmen. Es erschien ja nicht mehr als Schande, nach den Göttern alle <möglichen> Gestalten anzunehmen.

57. Nun aber wende ich mich den Zuschauern zu, die, wie ich wohl sagen darf, <durch den Tanz> nicht verführt werden <oder gar>, wie du dich ausdrückst, verloren sind. Ich nehme doch wohl mit Recht an, sie hätten <nach deiner Ansicht> jene ersten Tänzer auftreten sehen. Wir <hingegen>, Aristeides, die wir Frauen haben, Kinder aufziehen und unsere eigenen und öffentlichen Angelegenheiten verwalten, gehen zur Erholung ins Theater, setzen uns nieder und achten darauf, ob die Vorstellungen ein wenig Schönheit vermitteln. Und wenn durch die Tänze dank unserer Augen ein wenig Freude in unsere Seele einzog, gehen wir erheitert nach Hause und übernehmen wieder schwere Sorgen bei Beratung, Vorsorge, Reden und Taten. Und wenn wir dadurch gedrückt sind, kehren wir zur gleichen Vergnügung zurück und achten auf die Stellung der Füße, die Bewegung der Hände und die Anmut der Gesten, die du verwirfst, und insgesamt über den schönen Anstand der gesamten Darbietung. 58. Ob jedoch der <Tänzer>, der all dies aufführt, ein anständiger Mensch ist oder ein Schuft, roh oder sanft, ob er seine Begierden zügeln kann oder nicht, das geht uns weiter nichts an, und wir sitzen nur da als Kritiker allein der Tanzkunst, ebenso wie wir als Zuschauer bei Faustkämpfern nicht nach den Wunden fragen oder ob einer wuchtiger zuschlägt, und auch ob er seine Eltern anständig behandelt.

59. Wie nun wurden wir durch den Tanz <sittlich> verdorben? <Aristeides:> Weil die Gesten der Tänzer mehr zum Verderben beitragen als die Machenschaften anderer zur Machtergreifung im Staat. Teufel! Da haben aber die Gesten eine Kraft! Die übertrifft ja die Belagerungswerke der Lakedaimonier gegen die Mauer der Plataier! Und von welchem Verderben sprichst du? Etwa weil Tänzer die <Aufmerksamkeit der> Zuschauer auf sich ziehen? Oder führen sie das Publikum in Versuchung? Wenn du nämlich diesen Verdacht hegst, dann darfst du auch Knaben nicht tanzen lassen, damit die Zuschauer nicht durch Jugendschönheit verführt werden, und darfst auch nicht zu Tänzen von Männern junge Zuschauer hinführen, damit die Jugend nicht zum Ziel der Übergriffe von Tänzern wird. Wenn nämlich beide Gruppen Männer sind, jene, die zum Zuschauen kommen, und diese, die ein Schauspiel bieten, dann entsteht bei Erwachsenen keine Gefahr. Deine Worte aber waren eher die eines Feindes, nicht die eines Warners.

60. Dass aber nicht einmal, wenn sich die <Tänzer> ganz stark verbiegen und beugen, die Zuschauer verdorben werden, sieht man sehr leicht. Wer wüßte denn nicht, dass wir ganze Tage in Theatern mit einer Fülle verschiedener Schauspiele hinbringen? Man kann dort Faustkämpfer sehen, andere, die Einzelkämpfer sind oder sich gegen Tiere stellen, und wieder andere, die Räder schlagen. Gehen wir nun hin, um sogleich nach der Vorstellung den Gesehenen ähnlich zu werden? Werden wir durch die Faustkämpfer rücksichtslos und werden wir durch die Kämpfer in Waffen mordlustig? Heißen uns die Jäger, es mit einem Löwen aufzunehmen? Wurden wir durch die Radschläger zu leichterem Sprung befähigt? Hat jemand etwas Derartiges an seinem Nachbarn beobachtet oder an sich selbst? 61. Wahrhaftig! Wenn wir uns dem angleichen, was wir sehen, weshalb haben wir <solches Verhalten> nicht auch von den Wettkämpfern übernommen? Wenn nun aber von diesen nichts auf die Zuschauer abfärbte, dann ist es erst recht nicht bei den Tänzern anzunehmen. Oder beeinflußt das Vorbild der Tänzer die Seelen, während das Vorbild der Wettkämpfer nicht gleiche Wirkung erzeugt? Weshalb nun warnst du die Griechen nicht davor, Faustkämpfer zu werden oder gar Allkämpfer, und <rätst ihnen nicht>, den gymnischen Kämpfen der Athleten fernzubleiben, wenn solche <Darbietungen> die Zuschauer verrohen? Es beweist ja doch eine höchst wilde Veranlagung, auf einen zufällig Begegnenden einzuschlagen, und es ist dies keinesfalls eine Verrohung der Sitten, die auf Wettkämpfe zurückgeht. Auch muss man bei Verweichlichten annehmen, dass sie keine glückliche Naturanlage haben, nicht aber, dass sie durch Zuschauen bei Tänzen in ihrem Wesen Schaden erlitten.

62. Schädlich, sagt <Aristeides>, sind ihre Winke. Natürlich, wenn sie Winken von Frauen gleichen. Die <Pantomimen> müssen ja, wenn sie Beifall finden sollen, Nachahmer sein, und gutes Nachahmen bedeutet doch wohl, der Wirklichkeit möglichst nahe zu kommen. Das heißt folglich: Was man bei den Tänzern an einem kleinen Teil des Tages im Abbild zu sehen bekommt, das sehen wir ständig in Wirklichkeit. Jedes Haus ist voll von Weibern, und wenn es Weiber sind, gibt es auch Winke. Ich denke nämlich, dass mit Tätigkeiten auch Winke verbunden sind. Eine nämlich, die Anordnungen trifft und fordert, etwas verheißt oder androht, die schimpft und sich um alles kümmert, wird einmal sprechen und winken zugleich, ein andermal aber Winke geben, ohne zu sprechen. Die Männer jedoch, die mit ihnen zusammenleben müssen, können gar nicht anders, als dies sehen, und wer Augen hat, sieht zwangsläufig jene Weiberwinke. 63. Wenn wir also sämtlich durch diese Winke der Frauen verdorben würden, wäre es wohl am besten, wir würden uns von Mutter, Schwester, Tochter, Mägden fernhalten und die Augen schließen, wenn diese irgendwo auftauchen. Könnte uns nämlich das Schauspiel, das weit hinter der Wirklichkeit zurückbleibt, verderben, wie könnten wir dann heil davonkommen, die wir das wahre Leben vor Augen haben? Es ist doch wirkungsvoller, wenn man zur militärischen Ausbildung echte Kämpfe sieht und nicht nur Bilder anschaut, die Geschehnisse wiedergeben. Und wenn schon Weibergewinke Schaden anrichtet, so ist schädlicher noch solches, das im echten Leben stattfindet, als jenes, das man <auf der Bühne> zum Vergnügen vorführt. Du jedoch scheust vor dem echten nicht zurück, ziehst aber gegen das gespielte als etwas Schädliches zu Feld. 64. Und glaube nicht, ich wolle behaupten, dass noch nie einer, der sich mit Weibern abgab, als Weichling erschien; auf so einen wirkten freilich auch Tänzer schädlich. Wir werden aber doch nicht die Frauen abschaffen, wenn sich ein schlechter Kerl deren Sitten anglich, und werden es auch nicht als Zeichen für Schlechtigkeit der Tänzer ansehen, wenn sich einer ihrer Zuschauer als schlechter Mensch erwies. Jedenfalls wurde durch die oben angeführten Beispiele dargetan, dass es auch bei Tänzern anständige Lebensführung gibt. Wenn aber das Nachahmen die Tänzer keinesfalls verdirbt, wie sollten dann zwangsläufig die Zuschauer verdorben werden?

65. Ich wundere mich jedoch über Aristeides, weil er zwar scharf die Winke sah, wodurch nach seiner Meinung das Tanzwesen verderblich wurde, jedoch nicht sehen wollte, was sich andererseits tagtäglich, ja sogar im kleinsten Teil einer Stunde abspielt, und zwar sowohl auf der einen wie auf der anderen Seite. Was aber ist es, was ich behaupte? 66. Wenn der Tanz die weiblichen Bewegungen übernahm und dabei männliches Gebaren mied, gestaltete er eine wirklich hübsche Vorstellung, denn darin bestand die Kunst, nämlich in der Nachahmung der Frauen. Und <der Tanz> hätte auf diese Weise die Natur nicht verfehlt, höchstens würde man ihm mit Recht vorwerfen, dass er nicht beide Geschlechter in der Kunstausübung zusammenfasse; damit wäre nämlich größere Ergötzung verbunden, und es sähe nicht so aus, als ob man das männliche Geschlecht mißachte. Wenn der Tänzer aber einmal die eine Seite zeigt und dann wieder die andere, und wenn er oft beide Geschlechter darstellt, und, bevor er noch die Frau genau und treffend spielte, zur Männerrolle überging, weshalb zerlegst du die Tanzkunst in zwei Teile, übergehst den einen und stellst den anderen voran, wobei du die ganze Kunst zunichte machst?

67. Das Theater kennt Deianeira, doch kennt es ebenso Oineus, Acheloos, Herakles und Nessos. Es sah die fliehende Daphne, dazu den Verfolger Apollon. Es kennt auch Atalante, doch nicht ohne Meleagros. Der Pantomime stellt Phaidra in ihrer Liebesraserei dar, fügt aber auch Hippolytos hinzu, den keuschen Jüngling. Briseis wird aus dem Zelt des Achilleus weggeführt, doch führen sie Herolde. Dabei sieht man sieht das Mädchen, sieht aber auch die Männer. Man erblickte einen Wagen auf dem Meer, Poseidons Gabe <für Pelops>; der Wagen trug die Braut <Hippodameia> als Preis für den Wagensieg. Auf demselben Wagen wird man <aber> auch Pelops sehen. 68. <Die Bühne> zeigte <dir> auch viele Jungfrauen bei Lykomedes, dazu der Jungfrauen Tun und ihre Werkzeuge, Rocken, Spindel, Wolle, Kette, Einschlag, und weiter stellt sie natürlich Achilleus vor, wie er ein Mädchen spielt. Keine Angst! Man beendet hier die Tanzvorstellung noch nicht, nein, Odysseus erscheint in der Tür, auch Diomedes mit der Kriegstrompete, und der Sohn des Peleus offenbart, nun nicht mehr verstellt, seine wahre Natur. Ist dann <Achilleus> vor Troia darzustellen, wirst du den Helden sehen, der <Gegner> tötet, die Lanze schüttelt, Furcht und Verwirrung erzeugt, Hektor erlegt, die Leiche umherschleift und weiter als <andere> Fünfkämpfer springt.

69. Dies nun ist es, was du tadelst. Man wundert sich ja schon, wenn du die Leistungen der Fünfkämpfer nicht aus Olympia verbannst, etwas aber, was noch darüber hinausgeht, verurteilen willst. Und das Sprichwort sagt „Über die Sprungzeichen“, indem es jene bewundert, die beim Sprung das <gewöhnliche> Maß übertreffen; du aber machst gerade aus dem Sieg über Fünfkämpfer im Sprung ein Vergehen. Was aber könntest du Größeres finden, wenn du ein Lob aussprechen willst? So groß ist die Macht der Wahrheit. Häufig besiegt sie übelwollende Verleumdung und macht den Kläger, auch wenn er es nicht will, zum Lobredner des Verklagten.

70. Ich kehre jedoch zu der Feststellung zurück, dass die Nachahmung beide Geschlechter umfasst, sowohl wenn man Menschen darstellt wie auch Götter <abbildet>. Jener nämlich, der Hera, Aphrodite und Kore vortanzt, wird auch Zeus, Ares und Pluton vorführen. Und wenn einer sagt, <die Tanzkunst> stelle auch ein Hochzeitsfest dar, einen Schwarm und einen Reigentanz, dann bekommt er zu hören, dass <die Tänzer> auch den Kampf der Lapithen gegen die Kentauren vorführen, auch Theseus, den Sieger über Bösewichte, über den Stier und den Minotaurus, und weiter Herakles, den seine Mühsale bis zu den goldenen Äpfeln führen. Wirken <die Täünzer> nun eher verderblich, weil sie Weiber nachahmen, oder nützen sie den Zuschauern, weil sie Männer darstellen? Wenn sie nämlich bei Frauenrollen die Gemüter verweichlichen, bei Männerdarstellungen aber die Seelen erheben, schaden sie da <den Menschen> mehr als sie zu verbessern?

71. Und ich will auch nicht behaupten, dass das eigene <Geschlecht> zur Nachahmung einzuladen vermag, das andere aber dies kaum kann, so dass Männer füglich männlichen Vorbildern nacheifern, denen von Weibern aber nicht folgen. Doch lasse ich das, und bezüglich beider Geschlechter gelte gleiches Urteil, <nämlich> dass das eine schadet, das andere aber nützt. Indem sie also das eine oder andere vollkommen verkörpern, könnten <die Tänzer> durch weibliche Rollen durchaus schaden oder durch männliche durchaus nützen. Weil die Tänzer aber beides in ihren Auftritten vorführen, werden wir sagen <dürfen>, dass Nützliches an seinem segensreichen Wirken durch das Schädliche behindert und dass Schädliches ebenso vom Besseren gehemmt wird. So entsteht Schaden durch Schädliches, Unschädliches aber durch Gutes. Du sollst also das Tanzwesen nicht als schädlich anklagen, und ich will andererseits nicht behaupten, daß es zur Tugend hinführt, sondern < sage>, dass seine Wirkung nur darin besteht, dass es dem Zuschauer Vergnügen bereitet. Wohlgesinnte dürfen aber ein unsträfliches Vergnügen erstreben, und so erweist sich, dass dieses zu Recht ebenso wenig dem Tadel wie dem Lob unterliegt. 72. Ich nun schließe mich den Verteidigern des Tanzes sowie den Dichtern an, Aristeides hingegen den Stimmen gegen den Tanz, und man sieht schon, dass er die Dichter vertreiben will, also Homer, Aischylos, Euripides, Sophokles, Menander und viele weitere. Und weshalb? Weil alle diese Dichter Frauen auftreten lassen und dann am meisten Lob ernten, wenn sie diese höchst treffend darstellen und <dabei> das für jede Frauenrolle Charakteristische durchführen. Auch ahmen Dichter <Charaktere> besser nach als die Tänzer, weil erdichtete <Kunst->Rede mächtiger wirkt als stumme Bewegung. Auch tritt <der Darsteller im Schauspiel> der Rolle entsprechend auf und führt sie vor, während es den Tänzern genügt, die passenden Gebärden nicht zu verfehlen.

73. Und nun komm her und sprich weiter! „Die Vorfahren wurden durch die Tragödie verdorben, und verdorben wurden sie auch durch die Komödie. Homer verdarb Hellas, und vor Hellas verdarb er sich selbst, als er die weinende Briseis darstellte und Penelope und die verwundete Aphrodite.“ Dann sage doch gleich: Man müsse vor den Dichtern heute noch die Schule zusperren und vor den Schauspielern das Theater, damit kein tragischer Schauspieler auftrete und Pasiphae darstelle, wie sie vom rechten Weg abkommt und in unnatürliche Liebe verfällt, und damit auch kein Komödienspieler bei Menander gebärende Frauen und noch vieles Sonstige auf die Bühne bringe. 74. Weshalb denn gewährst du den Theaterschauspielern Zutritt, die Frauen auf zweierlei Weise darstellen, sowohl durch Rede wie auch durch Gesten? Weißt du nicht, dass einer, bei dem Gesten und Worte nicht harmonieren, den rechten Auftritt durch Zögern verfehlt, wenn er sich gerade bewegen sollte? So kam es, dass viele, die durch Stimme hervorragten, sich jedoch nicht harmonisch bewegen konnten, weniger gefielen, und viele, denen es zwar an Stimme fehlte, die jedoch hervorragend spielten, sogar über größere Könner gestellt wurden. Dann wird ein Schauspieler, der die Plangon spielt und durch Maske, Gewänder und einfach alles, was er trägt, eine Frau verkörpert, das Publikum nicht zu übler Lust verführen. Wenn aber ein Pantomime nur mit den Händen wedelt, gehen dann die Besucher voll mit Weibergetue nach Hause, und wurde jener vor ihnen zum Weib? 75. Trotz allem kämpfst du für Tragödie und Komödie gegen Platon und lobst gegen deinen Willen die Tänze in solchen <Stücken>. Zu diesen <Tänzen> gehört aber wohl auch der Kordaxtanz. Dann ist es aber auch verwerflich, wenn der Kordax im Theater Platz findet und man nicht den Vorwurf erhebt, er verderbe die Besucher, während du selbst vom <Pantomimen->Tanz, bei dem man sich größte Mühe gibt, sich ja nicht zu entblößen, Schlimmeres annimmst und das Publikum zu gleicher Meinung verführen willst.

76. Doch wollen wir uns jedenfalls nicht so sehr an deine Worte halten als an Taten. Und was nun sagen die Taten aus? Lieber jedoch beantworte mir <folgende Frage>: Ist die Herrschaft über Städte, die Sorge für das Volk und damit für den Wohlstand vieler Menschen Zeichen einer schlecht geleiteten Seele, die verdorben ist, voller Schwelgerei und mit Krankheiten der Seele belastet, oder zeigt es nicht im Gegenteil eine wohlerzogene, besonnene Seele, eine reine, gewandte, scharfblickende Seele, die die Leidenschaften beherrscht, das Gerechte mannhaft verwirklichen will und über Unrecht siegt? 77. Ich meinerseits glaube, dass es zur Prüfung einer Gesinnung nichts Enthüllenderes gibt als die <Ausübung der> Herrschaft, und will annehmen, dass auch das Sprichwort das Gleiche meint, wenn es sagt, ein Mann beweise sich, wenn er an der Macht ist. Wie hätten nun, Aristeides, solche, die dem Tanz nicht abgeneigt waren, wenn sie Herrschermacht gewannen, aber schlechte Kerle waren, ihre Städte behandelt? Soll ich es dir vorerzählen? Sie missachteten vielleicht die Götter, verjagten das Recht, übertraten die Gesetze, verkauften ihre Stimme <für Geld>, schlugen die Zeit mit den übelsten Rechtsbrechern tot, bekämpften jeden Anständigen, stahlen oder raubten Geldwerte, taten ihrem Magen gütlich, oblagen dem Trunk und schändeten Knaben und Frauen in gleicher Weise.

78. Du siehst aber bei solchen <dem Tanz nicht feindlichen> Männern nichts davon; nein, es wurden, was man seinen Kindern und Freunden gern wünschen möchte, nicht wenige von ihnen zu Rettern ihrer Städte, wurden <wie Sieger> ausgerufen und errangen einen Ruhmeskranz, der schöner ist als der Kranz in Olympia, gebrauchten auch bei jedem im Dienst für das Gerechte und Pflichtgemäße Drohung, Überredung und Schmeichelei. Auch rotteten sie hier Unheilbares aus, vertrieben dort etwas, was zurückweichen konnte, unterdrückten beim einen aufkommende Liederlichkeit, sahen auch nicht hinweg über Bescheidenheit in Armut, versperrten ungerechtem Reichtum den Weg, vertrieben den Weingenuß, mieden Schwelgerei, tadelten langes, vieles Schlafen, stärkten das Recht durch ihre Stimme, bewahrten die Größe von Städten, vergrößerten kleine; und mit reinen Händen, wie sie die Herrschaft übernommen hatten, traten sie von ihr ab. Alle diese wurden, wie ich behaupte, durch die Tänzer nicht zu wackeren Männern, doch halte ich daran fest, dass die Tänzer sie auch nicht hinderten, brave Männer zu werden.

79. Auch kommt hier nun die große Zahl der Redner und der überall politisch Tätigen zu Hilfe, von denen jeder, wie man sagen kann, schon einmal Tänzer gesehen hat, keiner aber deinen Vorwurf schweigend hinnehmen wird, er sei <dadurch> verdorben, kann er doch durch sein ganzes Wirken den Beweis erbringen, dass er ein braver Mensch ist. Möchtest denn du selbst, bei Zeus, deine eigenen Reden gern vor verdorbenen Leuten halten, willst du von so beschaffenen Menschen Bewunderung einheimsen und in Städten verweilen, die derart erkrankt sind? Ich will aber vom Verweilen nicht reden, gibt es doch viele Zwänge, durch die sich jemand irgendwo aufhalten muss, wo er es nicht möchte.

80. Eifrig aber den Beifall Verdorbener anzustreben, ist das nicht eine Schande? Du aber, der du behauptest, allein den Lakedaimoniern zuzureden, weil du weißt, dass sich <alle> anderen über deine Rede empören, wo hast du deine vielen schönen Reden verfaßt? In welchen Städten hast du sie vorgelesen? Durch welcher Leute Beifall ließest du dich erheben? Ich glaube nicht, dass du Sparta zur Werkstatt deiner Kunst machtest, und nicht, dass du deine Reden beim Eurotas strömen ließest; nein, du suchtest <auch> den Hellespont auf, Ionien, Pergamon, Smyrna, Ephesos, und die „Urmutter des Bösen“, wie du selbst es nennst, Ägypten. Auch nach Rom gingst du, wo das Tanzwesen hohes Ansehen genießt.

81. In der Anklage gegen die Tänzer nun behauptest du, die Städte seien verdorben, in jenen <schönen> Reden aber, die du verfaßtest, gibst du zu, dass dort gute Sitte herrsche. Du musst dich nun für eines von beiden entscheiden: Entweder willst du als Freund der Verkommenen erscheinen oder die Tänzer in übler Weise beschimpfen. Irgendetwas muss dir früher zugestoßen sein, weil du die Tänzer derart hassest, dass du, um sie zu verleumden, der ganzen Welt Unzucht vorwirfst, jedenfalls, wenn jene schon so verkommen sind, dass sie die Mahnung zur Umkehr gar nicht hören wollen, die Lakedaimonier aber die Schlechtigkeit schon lange bei sich heimisch gemacht und so ins Herz geschlossen haben, dass sie der Gesetze spotten und das Antlitz des Lykurgos kaum ertrügen, wenn dieser plötzlich bei ihnen erschiene. 82. Weiter: Begreifst du nicht, dass du dich selbst durchbohrst, wenn du das Schwert gegen andere richtest? Einerseits sagst du, einer, der noch nie Tänzer gesehen habe, durchschaue die Sache nicht so <recht>, doch andererseits würde jemand, der nur wenig davon gesehen habe, sogleich von der Besudelung angesteckt. Daher entgeht unser Ehrenmann Aristeides nicht dem Vorwurf, auch er sei nun ein Verworfener. <Du sagst aber:> „Zwar sah er, doch verkam er nicht.“ Da sprichst du recht, und ich schenke dir Glauben. Dann mußt du <aber> zugeben, dass auch alle anderen trotz solcher Schauspiele anständig blieben, und mußt glauben, dass auch bei anderen Menschen eine gewisse Vorsicht und Verständnis für das Gute vorhanden ist.

83. Ein „Verderb“, sagt <Aristeides>, „sind die <Tänzer> und ein Schimpf für die Städte.“ Bevor es aber den Tanz gab, lebten denn, sage mir, alle wie Priester und Propheten? Und wuchsen durch die Tänzer weibische Kerle heran, <etwa.> Kleisthenes, Philoxenos, Amynias, Aristodemos, Bathyllos, Diognetos, Demos, Kleinias, Agathon, Chrysippos, Polypaides, Harmodios, Ktesippos, Philippos, Timarchos und viele tausend Weitere? Wurden denn nicht <Leute> von Tänzern angehalten, nach Mannesart zu streben, <Männer wie> Eumnestos, Thrasyllos, Laios, Aristogeiton, Pammenes, Demokrates, Chabrias, Misgolas, Kallias, Kritias, Pausanias, Archidamos und die Könige der ruhmreichen Stadt Lakedaimon?

84. Und warum soll ich sie alle aufzählen, was volle fünf Jahre dauerte, und nicht nur Folgendes betonen: Hätte sich zu diesen Tänzern sogleich frevle Aphrodite gesellt, dann wären dem Sophisten <Aristeides> gleich Vorwürfe zur Hand. Wenn es jedoch widernatürliche Gesellen gab vor dem Auftreten der Unzucht <beim Tanz>, wie könnte jemand Dinge, die es so lang vor <Einführung des> Tanzes gab, der Göttin anlasten, die doch erst viel später erschien? Es wäre ja, als wolle man das Fieber und alle weiteren Krankheiten als Erfindungen der Tänzer hinstellen. 85. Du gibst zu, dass Menelaos selbst sein Schwert hinwarf und keinen Tänzer hatte, dem er dafür Feigheit vorwerfen konnte, es sei denn Meriones! Und war es ein Tänzer, der bei den boiotischen Thebanern den verwerflichen Grundsatz aufstellte, es sei etwas Herrliches, seinem Liebhaber zu Willen zu sein? Und wer hat die Einwohner von Elis überredet, dem gleichen Brauch zu folgen und das <begierige> Rennen nach den Jünglingen jenen zu gestatten, die Schönem nachstellen? Weder hat der Umstand, dass das Tanzwesen nicht sehr alt ist, die Städte in guten Sitten gehalten, noch führte <der Tanz>, als er eingeführt war, zu Sittenlosigkeit, nein, er folgt, wie das ganze Leben, der Lenkung der Gesetze, und dieses wird durch Strenge im Zaum gehalten, durch Milde aber ermuntert.

86. Wo <der Tanz> nun gelobt wird, schafft er vieles; wo er nur durch Maß im Zaum gehalten wird, wagt er maßvoll. Wenn das Recht jedoch Macht erlangt, wird er geziemend eingeschränkt. Seitdem es aber Tänzer gibt, ich meine die heutigen, trifft solche, die jene Unzucht treiben, die Todesstrafe. Während daher bei den Boiotern keine Furcht herrschte und sich alle angetrieben fühlten, die einen zu lieben, die anderen zu Willen zu sein, hält heute die Furcht vor der drohenden Höchststrafe die einen bei guten Sitten, und die anderen lässt sie nicht zuchtlos freveln, weil die Sorge um das Leben über die schlimme Lust siegt.Wenn man also vor <dem Auftreten> der Tänzer leicht freveln konnte, seitdem es sie aber gibt, Frevlern die Todesstrafe droht, wie sollte Verderbnis in den Städten erst eingetreten sein, seitdem es Tänzer gibt?

87. <Der Tanz> ist ja auch mit Gesang und Chor verbunden: Der Chor besteht nicht gerade aus würdigen Männern und Frauen, und die Gesänge sind verweichlichend und schwächen den Kampfesmut, so wie jene und wir nicht ungern einen schönen Chor sehen, noch lieber jedoch Gesänge anhören. So bedurfte es gewiß der vorbildlichen Dichtkunst eines Anakreon, um für die Chorsänger Lieder zu schaffen. Gerade dies machte das Tanzen wohl ruhmvoll und vermehrte die Freude am Theater; und auch wenn <die Tänzer> nicht gerade mit einer Sappho gesegnet sind, tun sie deshalb schon Unrecht? Das wäre ja, als ob man die Tapferkeit von Helden herabsetzen wollte, weil die Packknechte nichts taugen. Besser wäre es, denke ich, vom Tanz abzulassen und die Verhältnisse beim Chor zu bessern, als durch Vorwürfe gegen die Chorsänger den Tanz abzuschaffen. 88. Ich will ja nicht behaupten, dass zu einer vollkommenen Musikaufführung auch Lieder gehören, doch wodurch diese die Hörer schädigen sollten, kann ich nicht herausfinden. Wenn aber du <Aristeides> den Beitrag der Musik prüfst, dann sprichst du zwar Wahres, doch betrifft dies nicht den gegenwärtigen Zustand. Wir gehen ja nicht hin, um edles Liedgut zu hören und darauf zu achten, und es bedeutet keinen Vorwurf, wenn jemand nicht behalten kann, was er hörte; wir fordern ja einzig und allein, dass sich der Gesangsvortrag den Bewegungen anpaßt. Nicht nämlich wird der Tanz durch Lieder zur Vollendung geführt, sondern die Lieder sind für den Tanz erfunden. Auch beurteilen wir das Programm des Tages nach Schönheit und Mängeln des Tanzes und nicht nach den Titeln und Rhythmen der Lieder; von diesen spricht man ja nur kurz, denn die Kritik betrifft den <dargestellten> Seemann, den Jäger, den Hirten.

89. Wenn du jedoch behauptest, die Musik dringe in die Seelen ein, dann meinst du jene Musik, die junge Leute aufnahmen, als sie zum Lautenlehrer gingen, sich zu Konnon begaben und Lampros aufsuchten. <Dabei> widmeten sie dieser Ausbildung mehr Eifer als der Ringschule oder der Schreibkunst oder, mag sein, gleichen Eifer, indem sie sich durch Zeitaufwand, Mühe und Lernen musikalische Bildung erwarben. So kam es, dass der Kundige den Nicht-kundigen verlachte und einer, der die Lyra nicht spielen konnte, Spott leiden mußte. Wenn aber Lernen nun gleich war dem Zuhören im Vorübergehen und gleiche Wirkung auf die Seelen ausübte, dann versetzten damals die Theaterspiele alle in gleiche Stimmung, weil sie <alles> gemeinsam hörten. 90. So nun ist es auch heute: Wenn du nicht beweisen kannst, dass die Dichter solcher Lieder von vielen Schülern umringt sind, den Schülern ihre Lieder beibringen, und dass man sie mit gleichem Eifer aufsucht wie die Sophisten, dann entsteht durch den Chor kein Schaden in den Seelen, die ja auf den Tanz achten und sich aus dem Gesang weniger machen. So werden sie nicht gebrochen und werden auch nicht ganz mutlos, denn dazu führt, wie ich denke, nach deiner Ansicht das Gebrochen werden.

91. Wenn aber nun die Lieder nicht das Herz eines jeden in Aufruhr vcrsetzen, wirken sie unvermerkt auf die ganze Welt in höchstem Maß wohltätig. Wenn Völker nämlich die Freiheit von Kriegen genießen und ihre Wildheit dabei nicht besänftigt wird – sie kann sich ja nicht in Kriegen austoben – dann reizt diese Wildheit die Menge zu Aufständen. Zwar bringen Lieder die Masse (wie manche Schlangen) durch ihren Zauber zur Ruhe und führen dazu, dass die Menge Ruhe gibt; die Staaten aber, die durch Lieder gerettet werden, haben die Dichter, die ihre größten Wohltäter sind, nicht genug geschätzt. 92. In dieser Weise paßt, selbst wenn wir zugeben, dass du in allem Recht hast, die Rede doch gut zu den Liedern, doch zeigt sich klar, dass diese weder die Naturanlage gänzlich aus dem Sinn vertreiben noch ein für allemal tilgen, noch dass jeder Zuhörer, durch sie gänzlich antriebslos geworden, nur dasitzt. Wenn <die Leute> nämlich durch ihren Eifer in Parteien gespalten sind, wobei die einen für diesen, die anderen für jenen, wieder andere für einen Dritten sind, dann erheben sie leidenschaftliches Geschrei und gehen auf einander los, wobei jeder einem von der anderen Partei, den er sich ausgesucht hat, beide Fäuste zeigt; doch halten sie diese zurück, weil sie noch bei Vernunft sind, streiten aber mit Reden, weil sie aufgebracht sind; dadurch <nun> beweisen sie den Zusehenden, dass die Lieder sie nicht gänzlich besänftigt haben.

93. Wiederum aber wird Aristeides selbst zu einem der „Gebrochenen“. Er behauptet nämlich: Wer diesen <Leuten>„sein Ohr leiht, ist schon verdorben“. Ein solcher Zuhörer aber ist er in unseren Augen auch selbst. Wenn nämlich manche Diener im Auftrag ihrer Herrn zum Markt laufen und, wenn sie von dort durch die Gassen nach Hause eilen, <auch> etwas singen, was sie sich von den Liedern gemerkt haben, dann müssen das selbst jene hören, die es gar nicht hören wollen; zudem muss wegen der Nähe auch bei jenen, die nicht hören wollen, manchmal etwas im Gedächtnis haften. So nun bist auch du <Aristeides> selbst verdorben. Oder hast du <etwa> wie Zalmoxis unter der Erde gelebt und bist der großen Flut entkommen? Oder hast du dir Wachs in die Ohren gestopft, kamst heil durch und bist an den Sirenen vorbeigesegelt? Und dennoch verurteilst du die Lieder. Du kannst aber kaum leugnen, dass du Unrecht tust, wenn du nicht, wie es doch sein muß, alles einzelne darin enthaltene Schädliche geprüft hast. Dies aber kann niemand, der die Lieder nicht angehört hat. Hast du also die Schlager doch gehört und dich besiegen lassen? 94. Und was soll ich lang reden? Wenn ich nämlich versicherte, dass die Zuschauer (wobei ich auch die Herrschenden erwähnte) durch die Tanzvorführungen nicht verdorben wurden, so darf dies auch für die Lieder gelten. Wenn nämlich Leute neben dem Tanz auch Lieder anhörten und doch anständige Menschen blieben, beweisen sie dadurch, dass keine der beiden Künste die Ursache von Verderbnis darstellt. Wenn nämlich der Tanz kein Übel ist, die Gesänge jedoch eines wären, dann würden <die Zuschauer>, wenn nicht vom Tanz, so doch gewiß von den Schlagern ins Verderben gestürzt. Doch gab es kein Verderben, und folglich waren beide Darbietungen weit von Schädigung entfernt. Du aber bist viel moralischer als nötig und köpfst, wie in einer Wiese, die Blüten des Friedens.

95. Das aber, womit <Aristeides> die Menge für sich einnimmt, und was die meisten <immer> im Munde führen, und was sie bewundern, ohne zu wissen, weshalb sie bewundern, dies gleicht eher dem Diktat eines Tyrannen als einer Rede, der man vertrauen darf. Indem Aristeides nämlich jene erwähnte, die mit den Füßen zur Darstellung beitragen, dekretiert er: „Diesen soll man noch den letzten Rest ihrer Schuhe von den Füßen reißen“. Weshalb denn, bei allen Göttern? Nur deshalb, weil du dir so etwas einbildest? Du also, der du nur ein Redner bist, maßt dir den Rang des Richters an, versäumst es, den <Tänzern> nachzuweisen, dass sie Unrecht tun, erklärst jedoch, was ihnen geschehen muss, wenn man sie faßt? Nein! So nicht! Führe den Beweis! Du nämlich erhebst Anklage, doch muß ein anderer <als der Ankläger> die Strafe festsetzen. Wie ich aber meine, hat <Aristeides>, obschon er nicht behaupten kann, dass die Tänzer mit ihrem Geklapper Verweichlichung herbeiführen, trotz Mangels an Beweisen gleich die Strafe festgesetzt. 96. „Mit den Füßen“, behauptet er, „machen sie die Bühne kaputt“. Also hast du Mitleid mit den Brettern, und führt dies zur Anklage? Kannst du denn keinerlei Lärm ausstehen? Muss man denn jenen, die in der Kampfreihe mit dem Schwert auf ihren Schild schlagen und so <vor der Schlacht> den Mut <dcr Gegner> durch Schrecken erschüttern, nach allem Recht die Hände abhauen, zur Strafe für den Schwertlärm? Und bei jenen, die ihre Götter mit Zimbeln verehren, gibt es da nicht oft auch Arbeit für die Füße? Und was sollen jene erleiden, die ihre Gottheit mit Trommeln gnädig stimmen? Wie weit soll man sie verstümmeln?

97. Die Tänzer, mein Lieber, müssen ziemlichen Lärm machen, um dem Chor beim Auftritt den rechten Takt vorzugeben, und dieser <Lärm> verhilft auch den Tänzern zu gutem Rhythmus, der bei nackten Füßen nicht ausreichend zustande kommt. Es bedarf nämlich einer Art von eisernem Taktschlag, der von den Tanzschuhen ausgeht, um ausreichende Lautstärke zu erzeugen. Und deshalb also willst du den Tänzern den Fuß abschlagen und ahmst die grausame Vorwelt nach, indem du rätst, Füße abzuhauen oder auch – wie manche wollen – Hände oder noch lieber – aus gleichem Grund – Hände und Köpfe, Hände, weil sie Isisklappern schwingen (sie wollten damit stärkeren Lärm erzeugen), und die Köpfe <abzuhauen>, weil sie einen Helm mit Helmbüschen tragen. 98. Mache nur auch die Tragödienspieler kürzer, indem du ihnen die Knie durchhaust, weil sie mit Kothurnen auftraten und sich größer machten, um alle anderen zu überragen! Einen Trompeter aber musst du lebendig begraben, weil kein Teil seines Leibes so lang ist wie die Trompete, ja nicht einmal sein ganzer Körper. Dabei übergehe ich noch vieles, z.B. Bogen, Pfeil, Wurfspieß, Lanze, Karst, Pflug, wegen deren Gebrauch man die Leute verstümmeln müßte, wenn sich deine Lehre durchsetzt. Müßte man nämlich am Körper so viel abhauen, wie die Werkzeuge messen, welche Menschen gebrauchen, dann müßten die einen sterben wie Hippolochos, und andere, die nicht bestraft werden sollen, müßten wie die Söhne des Aloeus büßen; ja, <man müßte> sogar Strafe festsetzen für das Heranführen von Mauerbrechern an Stadtmauern. Siehst du nun, wohin die Sache führt, nur wegen deines Zornes auf die Tanzschuhe?

99. Vielleicht wird aber wird jemand einwenden: „Und weshalb, wenn du <Libanios> meinst, die Sache sei unschädlich, hältst du dich selbst davon zurück und willst auch junge Leute fernhalten?“ Weil ich, mein Bester, so beschäftigt bin, dass mir kaum Zeit für das Notwendige bleibt. Hermes nämlich kommt herbei und hält mich von Tafelgenüssen und Badefreuden ab, und ich muss alle äußerlichen Vergnügungen entbehren, um mich der Redekunst hinzugeben. Deshalb erscheine ich auch der Menge als mürrisch, weil sie nicht die Notwendigkeit mitbedenkt, die mich festhält und fesselt. Ich bin ja sogar durch meinen unersättlichen Arbeitstrieb zum Verräter an der Gesundheit geworden und scheine geradezu verrückt zu sein, weil ich die Mahnungen meiner Angehörigen und Freunde in den Wind schlage. Wie sollte ich da zum Gaffen hingehen und den lockenden Tänzern folgen, wo mich zu Hause solche Freuden festhalten?

100. Ein junger Mann freilich darf dem Tänzer zusehen; in meinem Alter ist es nicht mehr erlaubt, und wenn man sich auch einer Sache hingibt, die später keinen Vorwurf einbringt, wird man, gegenwärtig damit befaßt, unvernünftig handeln. Warum aber? Von Delphi kommt uns ein Rat, der den rechten Augenblick empfiehlt. Und wozu ist jetzt rechte Zeit? Zu Mühe und Studium. Und wozu später? Zu Ernst und Vergnügen zugleich. Wer aber im Eifer die Vorschrift zu hastig übertritt, wird für sein unzeitiges Tun bestraft. 101. Daher ist die Einhaltung der rechten Zeit nicht dem Tanzwesen anzulasten. Doch sehe ich auch Pferderennen, die du nirgendwo tadelst, als schädlich für die Jugend an, wenn diese das Studium der Rede vernachlässigt und zu den Rennen geht. Auch Betätigung als Bürger und Heiraten sind schön und berechtigt und bringen Staaten und Städten höchste Sicherung und Heil; wenn aber Leute, für die es noch nicht paßt, heiraten und Politik treiben, und <wenn> solches Tun nicht zum Lebensalter paßt, dann ist von Natur Gutes, zu unrechter Zeit getrieben, kein solches Gut mehr. Heute gehöre der junge Mann der Redekunst, ganz wie der Seemann dem Meer. Sind jedoch beide in den Hafen gelangt, ist es den Vertretern beider Berufe erlaubt. ihr Herz an Bühnenaufführungen zu erfreuen. Wer aber jungen Leuten das Zusehen nicht erlaubt und deshalb den Tanz schmäht, handelt wie einer, der den Tanz schmäht, weil jene, die zur See fahren, ihn deshalb nicht sehen können. 102. Dies nun ist alles, wodurch ich meinersweits den Tanz von ungerechter Anklage befreien konnte. Doch könnten die Tänzer durch einen besseren Redner vielleicht noch wirksamere Hilfe erlangen. Ich würde mich aber schämen, wenn ich das Tanzwesen zwar gegen Vorwürfe verteidigt hätte, nicht jedoch auch <im Folgenden> darlegte, dass ihm sogar gutes Ansehen gebührt.

103. Zuerst nun: Nicht jeder Körper hält das Tanzen aus, nein, wie bei Hunden, Fohlen und künftigen Athleten gewiegte Kenner der jeweils nötigen Eigenschaften eine Prüfung veranstalten und jene Kandidaten auswählen, deren Körperbau gute Fähigkeiten für die künftige Tätigkeit anzeigt, und alles Untaugliche ausscheiden, so auch muss ein Knabe anzeigen, dass er die rechte Größe erreichen, nicht jedoch allzu wohlbeleibt sein wird. Er muss aber auch einen aufrechten Nacken haben, den Blick nicht senken; seine Finger sollen wohl gewachsen sein, und überhaupt muss der Tänzer Schönheit besitzen, die ja auch im Leben der Götter von höchster Bedeutung ist. 104. Dann soll ihn der Turnlehrer übernehmen und zu noch mehr und erstaunlicheren Biegungen als die Ringer führen, so dass der Schüler beide Füße über den Rücken zum Kopf hochzieht und auch noch so weit herunter biegt, daß sie sogar bis zum Gesicht herabreichen und die Fersen sich den Ellbogen nähern. Hat er aber <so> seinen Leib zu einem Kreis gebogen wie eine Rute, dann wird er ihn wie ein Rad anrollen, und dieses läuft dann, und solcher Lauf schadet den Gliedern nicht. Schon lange nämlich wurden die Einzelglieder so geübt, dass sie geschmeidig geworden sind, wobei der Turnlehrer jedes für sich schulte, doch auch auf ihr Zusammenspiel achtete und dabei die Einzelfunktion so übte, daß, mag einer nun Hände und Füße hinwenden, wohin er will, diesen der Rest des Leibes folgt, ganz so, denke ich, als wäre alles aus Wachs. 105. In dieser Weise wird der Gymnast den Körper <des Schülers> für den Tanzlehrer einüben. Dieser übernimmt nun die harmonisch geübten Glieder und schult sie zur Nachbildung jeglicher Haltung. Auf beiden Seiten ist freilich die Mühe nicht gering, beim Lehrer für die Anleitung, beim Schüler zum Lernen. Und der eine Teil der Zeit wird den Übungen gelten, der andere dem Überdenken des Geübten. Man muss sich nämlich, auch wenn man sich gerade nicht bewegt, mit der Arbeit innerlich beschäftigen. Und so wissen auch diese <Menschen>, daß uns die Götter alle Güter nur für Mühen verkaufen.

106. So nämlich wie für jene, die sich gern mit Reden befassen, Mühen die beste Wegzehrung zum Ziel sind, und wie man nicht zugleich seinen Leib mästen und die Seele ausbilden kann, so lassen sich auch Tanz und Völlerei nicht vereinen. Nein, wer das eine will, muss auf das andere verzichten. Wer also einen speisenden Tänzer antrifft und sieht, dass er sich überißt, der darf glauben, der Mann tauge nicht viel mehr als Steine und sei durch seine Schwelgerei für die Kunst verloren. 107. Eher noch könnte man tüchtige Reden mit Weingenuß verbinden als Tanzkunst mit einem Leib, dessen Magen nicht im Zaum gehalten wird. Man kann nämlich eine Kunst grundsätzlich nur durch Selbstbeherrschung gewinnen, und diese ist auch die Wächterin über das Erreichte. Wer sich also der Eßlust ergibt, verwandelt sich aus einem Vogel in einen Bleiklotz. Wie nun in einem <Leben in> Fülle Venus herrscht, bei schmaler Kost aber nicht, so halten sich auch ausgezeichnete Tänzer von Liebeslust fern und bieten so das Vorbild eines tüchtigen, untadeligen Mannes. Der geschilderte Zugang zu Übung und Erhalt der Kunst ist also, wie man mit Recht sagen darf, den Schwelgern und Lasterhaften gänzlich versperrt.

108. Man kann wahrlich nicht behaupten, dass sich solche <Menschen> zwar abmühen, dies aber den Völkern kaum Nutzen bringt; im Gegenteil: Diese <Mühe> scheint mir von allem das Nützlichste, jedenfalls in unserer Zeit. Denn sieh nur! Ich meine: Wenn die Dichter schon seit jeher Ruhm gewinnen, Bewunderung, Ansehen und Geschenke aller Art, und all dies jetzt noch genießen, dann nicht deshalb, weil sie die Menschen von ihrer Arbeit weglocken, beim Vortrag ihrer Werke deren Zeit vergeuden und ohne Sinn und Zweck dichten, sondern weil sie das Publikum durch Erinnerung an Taten der Vorzeit erzogen und es nicht zuließen, dass über einst Geschehenes das Vergessen Macht erhält; dies tun sie zu Nutzen der noch Lebenden. 109. Wenn sich einer nämlich mit Denkart und Schicksal der Heroen vertraut gemacht hat, kann er sich besser in die Gegenwart finden, weil er sein eigenes Leben nach dem Leben der Heroen gestalten kann. Hört er nämlich, dass die Gier nach Leibern, Gütern und Tyrannenmacht den darin Erfolgreichen endlich zum Unheil ausschlug und dass Schuldbeladene zugrunde gingen, auch, dass deren Opfer <wieder> an die Macht kamen, dann wird er erkennen, dass gerechtes Tun nützt, und sich selbst mahnen, Gerechtigkeit hochzuhalten.

110. Was aber den Menschen am ärgsten bedrückt, das Sterben seiner Kinder, wie könnte er es nicht<eher> ertragen, wenn er fünfzig Kinder vor den Augen ihrer Väter daliegen sieht und eine Tochter, die vom Vater vorgeführt und als Opfer geschlachtet wird, und wiederum andere, die von der Hand ihrer Mutter fielen, mochte diese nun rasen oder mit Bewußtsein handeln. Dass es aber für die berühmte <Medeia> aus Kolchos nicht zum Guten ausschlug, dem Fremdling gegen die eigene Familie beizustehen, und dass es dem Geretteten <schadete>, seine Retterin im Stich zu lassen, alle diese Beispiele wirken erzieherisch, weil sie von solchem Handeln abschrecken. 111. Ein schönes Gut ist im Leben auch die Kraft des Durchhaltens. Diese wird uns der Mann aus Ithaka lehren nach seiner langen Seefahrt, der Höhle des Kyklopen und nach der <Charybdis>, die über der Meerenge die vielen Köpfe hochreckt, weiter auch, indem er im eigenen Haus die Sklaven ertrug, die ihn schlugen und traten. Überhaupt: Wenn wir von den Taten nach Ehren Strebender hören oder von Fehlgriffen Unbedachter oder von einem Übermaß an Unglück, erzieht uns dies dazu, dem einen <Verhalten> nachzueifern, das andere aber zu meiden.

112. So lang aber nun die Schar der Tragödiendichter blühte, traten für die Völker auch staatliche Lehrer im Theater auf. Als jedoch diese Dichter verschwanden, die Wohlhabenderen aber ihre Bildung in den Schulen erhielten und das breite Volk unbelehrt blieb, da erbarmte sich ein Gott der allgemeinen Unbildung und führte den Tanz anstelle der Dichtung ein, sozusagen als Schule für die Menge <zum Kennenlernen> alter Taten, und heutzutage wird sich ein Goldschmied mit dem <gebildeten> Besucher von Schulen gar nicht schlecht über das Haus des Priamos und das des Laios unterhalten.

113. Die <Tanz->Kunst nun wird bedenken, dass die Geister schon wach geworden sind, wird den Chor oft verstummen lassen und den Zuschauer allein mit Hilfe von Gesten zum Verständnis der Handlung führen. Auch wird es, wenn Athene auftritt, keine große Sache mehr sein, Athene zu erkennen, und bei Poseidon den Poseidon, bei Hephaistos den Hephaistos. Durch Athene aber wird man auf Poseidon kommen, durch Hephaistos auf Athene, durch das Feuer auf Hephaistos, durch Ganymedes auf Zeus, durch Achilleus auf Paris; dient nun all dies nicht zu besserer Schärfung des Geistes als etwa Rätsel? 114. Wer daher in dieser Hinsicht Scharfsinn besitzt, wird auch sonst nicht so leicht hinters Licht geführt. Diese Übung aber ist sowohl für die breite Masse nützlich wie auch für Gebildete . Die einen kann sie nämlich das lehren, was sie noch nicht verstehen, die anderen aber erinnert sie an das, was sie schon wissen. Und wenn wir einen stumpfen Geist als weniger tauglich zu Geschäften ansehen, wie sollten wir nicht einen Geist für tauglich zu Geschäften halten, den das Tanzwesen geschärft hat? 115. Willst du lernen, wie man eine Seele aufrichten und erleichtern kann, die in Schmerz versunken ist? Geh hin und nimm einen Menschen, dem man das Liebste oder sein Vermögen geraubt hat, der schwer mißhandelt oder geschlagen wurde, führe ihn ins Theater und zeige ihm durch Pantomimen, wie alte Königshäuser untergingen, und du wirst sein Herz erleichtern. Wende seinen Geist von den Tyrannen weg zu Festzügen und Volksfesten, und du wirst sehen, wie rasch seine Betrübnis schwindet, und gelingt es nicht ganz, so doch weitgehend. So steht der Trost, den der Tänzer spendet, gar nicht weit hinter dem eines Redners zurück.

116. Wenn aber nun das Betrachten von Götterbildern die Menschen durch deren Anblick verständiger macht, lässt dich <der Tänzer> alle Götter auf der Bühne sehen, und zwar nicht in Stein gehauen, sondern durch den Tänzer dargestellt; deshalb kann sogar ein ganz hervorragender Bildhauer beim Urteil über die hier waltende Schönheit nur den zweiten Rang nach den Tänzern erreichen. Welches Gemälde und welche Aue wirkt nämlich lieblicher als eine Tanzdarstellung, und ein auftretender Tänzer, der den Zuschauer in Haine führt, auch Rinderherden zeigt, die unter Bäumen ruhen, Ziegenherden, Schafherden, der auch Hirten vorführt, die ihre Lämmer hüten und teils auf der Syrinx blasen, zu anderen Tätigkeiten aber ein anderes Lied auf der Flöte? Wer aber wäre nicht milder gegen seine Gattin und seine Diener, wenn er sich an solchem Anblick ersättigt hat, der durch das Geschehen fast nur helle Freude in seiner Seele erzeugt? Und welche Träume werden wohl den besuchen, der nach solcher Vorstellung ruht? Doch wohl solche, denke ich, die Freude machen. 117. Und wer, alt oder übermütig, der zweite im Überschwang, der erste stärker als sein Alter, begänne nicht zu tanzen, verführt durch die Sprünge des Tänzers? Was liegt näher, als die Schiffe der Phaiaken oder ihre Tänze an Schnelligkeit mit Gedanken oder Vogelflug zu vergleichen? Wenn man aber bei einer Aufführung jede Geste genau verfolgte, wurde man oft durch den raschen Ablauf zu jeder denkbaren Bewegung des Körpers hingerissen. Jeder <Tänzer> kann ja fast wie der ägyptische Proteus jede Rolle spielen. Man könnte denken, <die Tänzer> würden durch den Stab der Athene verwandelt, welche die Gestalt des Odysseus verändert, und sie spielten alles, Alte und Junge, Arme, Hochstehende, Betrübte, Lässige, Diener, Herren. Und wenn einer nach ihren beiden Füßen sähe, fragte er sich, ob ihnen die Kraft des Perseus innewohne.

118. Wird jemand bei der Drehung der Gruppe ihren Zusammenhalt in höherem Grad bewundern oder das folgende, plötzlich feste Stehen oder das im Stehen durchgehaltene Bild? Sie drehen sich nämlich wie beschwingt, am Ende jedoch gehen sie in eine unbewegliche Stand-Haltung über, als wären sie festgeleimt. Beim Stehen aber entsteht das Bild. Eine weitere, größere Mühe ist es aber, sich zum Gesang wieder zu bewegen. So hohe Bedeutung hat der Rhythmus bei den Tänzern. Durch ihn gewinnen die <Menschen in den> Städten reine, unvermischte Freude.

119. <Bei anderen Vorführungen nämlich> schlägt ein Ringer seinen Gegner zusammen, einem Faustkämpfer wurde im Kampf ein Auge ausgeschlagen, ein Wagenlenker hat seinen Gegner umgeworfen und getötet, und schon einmal hat der Tod eines Pferdes sogar eine ganze Stadtbevölkerung entzweit und zu Steinwurf, Brandstiftung und Mord gereizt. Der Tanz hingegen hat nie ein Unheil hervorgerufen und wird es niemals erzeugen. Und dies <sagt man> mit Recht. Ihn erzeugte nämlich der friedlichste und froheste Anlaß, der das Messer zu den Trauben führt, die Trauben aber in die Keltern, und der aus dem Geschenk des Dionysos ein Freudenfest macht. Daher haben die Tänzer [orchestai] auch ihren Namen vom urtümlichen Springen um die Weingärten [orchos, Weingarten].

119 a. Und einer Handlung, die manchen Philosophen als Erfüllung höchsten Ehrgeizes gilt, nämlich Behebung mancher Notlage ihrer Heimat, darf sich auch der Tänzer <Sostratos> von Priene rühmen. Er begleitete nämlich König Antiochos, und als dieser die Stadt Priene eingenommen hatte, verlangte er <von ihm>, er solle zu einem Lied tanzen, und dieses besang die Freiheit. Preis für das Lied war die Verschonung der Stadt. Als <Sostratos> jedoch sagte, es sei Frevel, in einer mit Unfreiheit bedrohten Stadt einen solchen Tanz aufzuführen, da schenkte Antiochos der Stadt Priene wieder die Freiheit. 120. Meinst du nun wirklich, Aristeides, dass solcher Sinn für Gerechtigkeit und solcher Freimut aus einer verdorbenen Seele kamen? Oder willst du das Verhalten eines so trefflichen und edlen Bürgers, der die Rettung seiner Heimat über Liebedienerei bei einem Machthaber stellte, als Verkommenheit bezeichnen? Dann wird man dir den Vorwurf der Rechthaberei nicht ersparen können.