Übersetzungen

von Otto und Eva Schönberger

Euripides: Bakchen


<Antike Inhaltsangabe>

<EURIPIDES>
<Die Bakchantinnen. Inhalt>

Von Dionysos sagten Verwandte in Theben, er sei kein Gott. Dieser aber verhängte die gebührende Strafe über sie. Er versetzte nämlich die Frauen der Thebaner in Raserei. Dabei gingen die Töchter des Kadmos den Schwärmenden voran und führten sie ins Kithairongebirge. Der alte Kadmos nun ... [Lücke]. Pentheus aber, Agaues Sohn, der die Königsherrschaft übernommen hatte, war über das Geschehene empört, ergriff einige der Bakchen und setzte sie fest. Gegen den Gott selbst jedoch entsandte er weitere Männer. Sie bemächtigten sich des Gottes, der freiwillig mitging, und führten ihn zu Pentheus. Dieser befahl, ihn in Fesseln zu legen und einzukerkern, und behauptete nicht nur, Dionysos sei kein Gott, sondern wagte es sogar, ihn so zu behandeln, als sei er nur ein Mensch. Der Gott aber ließ ein Erdbeben entstehen, so daß der <Königs>Palast einstürzte, und führte Pentheus auf den Kithairon, damit er, als Frau gekleidet, das Weibertreiben ausspähe. Die Bakchantinnen aber zerrissen Pentheus, wobei seine Mutter den Anfang machte. Kadmos jedoch, der das Geschehene erfuhr, sammelte die zerrissenen Glieder des Pentheus und erkannte endlich dessen Haupt in den Händen der Mutter. Dionysos aber offenbarte sich und verkündete allen <seine Lehre>; jedem einzelnen aber zeigte er an, was <ihm> zustoßen werde. Dies zeigte er durch Taten, nicht nur mit Worten, um nicht von einem Ungeweihten als gewöhnlicher Mensch verachtet zu werden.

Inhaltsangabe des Grammatikers Aristophanes <von Byzanz>

Weil Pentheus sich weigerte, den Geheimdienst des vergöttlichten Dionysos zuzulassen, versetzte dieser die Schwestern seiner Mutter in Raserei und zwang sie, Pentheus zu zerreißen. Die Darstellung der Sage liegt <auch> im Drama „Pentheus“ des Aischylos vor.

Die Personen des Dramas

  • Dionysos
  • Chor der Bakchen
  • Teiresias
  • Kadmos
  • Pentheus
  • Diener
  • Bote
  • Zweiter Bote
  • Agaue <Tochter des Kadmos>

Dionysos spricht die Einleitung.

<EURIPIDES>
<DIE BAKCHANTINNEN>

[Bühne: Der Palast von Theben. Noch rauchendes Grab der Semele; ein Rundheiligtum, das von Trauben überwachsen ist]

PROLOG (1–63)

Dionysos.
Ich kam hierher, ich Sohn des Zeus, Dionysos,
ins Theben-Land. Des Kadmos Tochter Semele
gebar mich einst, entbunden in des Blitzes Glut.
Ich wandelte die Gottgestalt ins Menschliche,
kam her zu Dirke-Quelle und Ismenosfluß,
seh auch das Grab der Mutter, die der Blitzstrahl traf,
nah bei den Trümmern von Palast und Haus, wo noch,
vom Blitz, den Zeus geschleudert, eine Flamme schwelt,
da Hera meiner Mutter unversöhnlich grollt.
10Doch lobe ich den Kadmos, der geweihten Ort
hier schuf, der Tochter Heiligtum. Dies habe ich
ringsum mit meines Weinstocks Laub und Frucht umhüllt.

Ich ließ der Lyder Goldgefilde hinter mir,
das Land der Phryger, Persiens sonnverbrannte Flur,
die Mauern Baktriens und das öde Mederland.
Ich kam ins glückliche Arabien, wie auch
ins ganze Asien, das am Salzmeer sich erstreckt,
bewohnt sowohl von Griechen wie Barbaren auch,
mit vielen wohl umtürmten Städten schön geschmückt.
20In eine Stadt der Griechen kam ich später erst,
als ich in Asien Tanz und Weihungen eingeführt,
um aller Welt zu offenbaren mich als Gott.
Als erste Stadt in Hellas füllte Theben ich
mit Jubelruf; das Hirschfell hängt ich allen um,
hieß sie den Thyrsos tragen, meinen Epheu-Speer.
Der Mutter Schwestern, die’s nicht durften, sagten ja,
ich, Bakchos, sei wahrhaftig nicht der Sohn des Zeus.
Ein Sterblicher nur habe Semele verführt,
und diese gab dann Zeus an ihrem Fehltritt schuld.
30Gelogen habe Kadmos, und so höhnten sie:
„Zeus tötete die Schwester, die den Bund erlog.“
Die Schwestern macht ich rasend, trieb sie aus dem Haus.
Sie sitzen nun verrückten Sinnes im Gebirg.
Für meine Riten sich zu kleiden zwang ich sie
und trieb dann alle Frauen des Kadmeervolks,
so viel es waren, rasend aus der Stadt.
Gemeinsam mit des Kadmos Töchtern sitzen sie
in dunklem Fichtengrün und nicht in hohlem Fels.
Es muß ja diese Stadt, auch wenn sie es nicht will,
40nun gründlich lernen (sie weiß nichts von meinem Kult),
daß ich die Ehre meiner Mutter rette und
als jener Gott erscheine, den sie Zeus gebar.
Kadmos nun gab die Herrschaft und das Königtum
an diesen Pentheus weiter, seiner Tochter Sohn,
der gegen mich, den Gott, kämpft, Opfer mir verwehrt
und meiner in Gebeten nirgendwo gedenkt.
Beweisen will ich ihm wie dem Thebanervolk,
daß ich ein Gott bin. Ist hier alles wohlbestellt,
führt mich mein Weg als Gott dann in ein anderes Land.
50Will aber die Thebanerstadt in ihrem Zorn
die Schwärmenden vom Berg vertreiben mit Gewalt,
dann führ’ als Feldherr ich die Bakchen in den Kampf.
Aus diesem Grunde nahm einst Menschenleib ich an,
verwandelte mich äußerlich in einen Mann.

[An sein Gefolge]
Auf denn! Die ihr den Tmolosberg in Lydien)
verließt, mein Festschwarm, Weggefährten und Gefolg,
ergreift die Trommeln, die in Phrygien heimisch sind,
erfunden von der Mutter Rhea und von mir,
60eilt her, umringt des Pentheus Haus und trommelt laut,
damit euch alle in des Kadmos Stadt auch sehn.
Nun aber will ich zu Kithairons Schluchten gehen,
wo jetzt die Bakchen weilen, nehme teil am Tanz.

PARODOS (Einzugslied. 64–169)

Chor.
Kommend aus Asiens Land
Eil ich vom heiligen Tmolos
zu freudiger Mühe für Bromios,
zu süß ermüdendem Dienst
unter Jubelrufen auf Bakchos.
Wer ist im Weg? Wer im Weg? Wer
im Haus? Er mach Bahn! Jeder
70hüte den Mund, jeder heilige sich.
Wie immer es Brauch war,
will ich Bakchos besingen.

(A) Selig ist, wer im Glück,
teilhaftig göttlicher Weihen,
sein Leben fromm heiligt,
sich dem Bakchenschwarm anschließt,
im Gebirg dionysisch feiert
und den Kult der großen Mutter
Kybele nach Brauch vollzieht,
80den Tyrsosstab schwingt
und, mit Epheu bekränzt,
Gott Dionysos dient.
Auf, Bakchen, auf!
Führt den lärmenden Zeussohn
Dionysos herab von Phrygiens
Bergen hin zu breiten Straßen in Hellas,
ihn, den Brausenden,

(Aa) ihn, den die Mutter einst trug
und in schwerer Geburtsnot,
90als der Blitz des Zeus heranflog,
zu früh gebar und so
das Leben verlor
durch den Blitzschlag.
Gleich nahm ihn der Kronossohn Zeus
in bergender Hülle auf,
barg ihn im Schenkel, umschloß ihn
mit goldenen Spangen,
verbarg ihn vor Hera.
Zeus aber gebar, als die Moiren
100es vollendeten, den stiergehörnten Gott,
bekränzte ihn mit Kränzen
von Schlangen, weshalb die Bakchen
solche Wildtiere fangen und ihre
Locken damit bekrönen.

(B) Theben, Semeles Amme,
bekränz dich mit Epheu!
Strotze, strotze von frisch grüner
schön fruchtender Winde!
Schwärmt nun als Bakchen, bekränzt mit
110Zweigen von Eiche oder Fichte
und schmückt eure gefleckten Hirschfelle
mit Bändern aus schneeiger Wolle!
Heiligt so auch heitere Thyrsosstäbe!
Gleich tanzt das ganze Land,
immer wenn Bromios Festschwärme führt
zum Berg, zum Berg, wo Weibervolk weilt,
gelockt von Webstuhl und Schiffchen
durch Gott Dionysos.

(Bb) O Heimstatt der Kureten,
120heilige Höhle auf Kreta,
wo Zeus zur Welt kam,
wo dreifach behelmte Kureten
in der Höhle die lederbespannte
Pauke mir fanden.
Mit bakchischem Paukenklang
mischten sie süßen Atem
phrygischer Flöten, reichten die Trommel
Mutter Rhea zum Taktschlag
für jubelnde Bakchen.
130Von der göttlichen Mutter aber
erhielten Trommeln schwärmende Satyrn,
gebrauchten sie bei Reigen
zweijährlicher Feste
die Dionysos liebt.
EPODE (Schluß)
Willkommen ist er im Gebirg, wenn er
im Schwarm rennt
und zur Erde sinkt,
gehüllt ins heilige Rehfell,
gierig nach dem Blut
des getöteten Böckleins, gierig nach Fleisch,
140stürmend ins phrygische, lydische Bergland.
Bromios stimmt an:„Euoi!“
Von Milch strömt das Land,
fließt von Wein, vom
Nektar der Bienen.
Gott Bakchos erhebt die
nach syrischem Weihrauch
duftende Fichtenfackel,
schwingt sie zu Lauf und Tanz,
feuert die Schweifenden an,
treibt sie mit Rufen und
150wirft die üppigen Locken in die Luft, und
Ruft zu bakchischem Jubel:
„Auf! Bakchen,
auf, ihr Bakchanten,
Stolz des goldströmenden Tmolos,
feiert Dionysos
beim Lärm der dröhnenden Trommeln!
Jauchzend preiset den jauchzenden Gott,
mit phrygischem Jauchzen und Rufen,
160wenn die süß tönende Flöte
heilige Weisen ertönen läßt zum Anstieg
der Bakchen, die aufsteigen „zum Berg, zum Berg!“
Freudig dann, wie ein Fohlen zur Seite der weidenden Mutter
Hüpft die Mainade, wirft den
eilenden Fuß in Sprüngen.
Teiresias.
170Wer wacht am Tore? Ruft den Kadmos mir heraus,
Agenors Sohn, der die Stadt Sidon einst verließ
und hier die große Thebenstadt gegründet hat.
Es gehe einer, melde, daß Teiresias
ihn aufsucht. Weiß er doch schon selbst, weshalb ich ihn
besuche, was ich alter Mann mit ihm beschloß:
Den Thyrsos zu ergreifen, tragen auch das Fell,
mit frischen Epheugrün zu kränzen unser Haupt.
Kadmos.
Wie gern, mein Lieber, hörte deine Stimme ich
im Haus schon weilend, kluge Rede klugen Manns.
180Ich komme, trage gern des Gottes Tracht, denn ich
muß meiner Tochter Sohn Dionysos, der sich
bei uns, den Menschen, offenbart als Gott,
so hoch verehren, wie es Menschen möglich ist.
Wie muß man jetzt wohl tanzen, setzen seinen Fuß,
wo schwenken denn das graue Haupt? Sag du es mir,
der Greis dem Greise, weiser Mann, Teiresias!
Ich will ja unermüdlich Tag und Nacht hindurch
den Thyrsos auf die Erde stoßen, denn zu gern
vergessen wir ja, daß wir Greise sind.
Teiresias.
So geht’s auch mir.
190Ich fühle mich noch jung, nehm froh am Tanze teil.
Kadmos.
Dann wollen wir zu Wagen fahren auf den Berg?
Teiresias.
So ehrten wir den Gott wohl nicht auf rechte Art.
Kadmos.
Dann will ich Greis dich Alten führen auf dem Weg.
Teiresias.
Ganz ohne Mühe führt der Gott uns auf den Berg.
Kadmos.
Weihn in der Stadt nur wir allein dem Bakchos Tanz?
Teiresias.
Nur wir sind rechten Sinnes. Alle andern nicht.
Kadmos.
Nicht lang gezaudert! Nimm hier also meine Hand!
Teiresias.
Da hast du auch die meine, füge Hand zu Hand!
Kadmos.
Als Mensch verachte ich gewiß die Götter nicht.
Teiresias.
200Wir wollen auch nicht klügeln, wenn’s um Götter geht.
Was uns die Väter überliefert, was so alt
ist wie die Zeit, das macht zunichte kein Verstand,
selbst wenn er voller Scharfsinn seine Weisheit fand.
Kadmos.
Darf einer sagen, meinem Alter zieme nicht,
daß ich im Reigen tanze, Epheu trag’ ums Haupt?

Teiresias.
Dem Gott machts keinen Unterschied, wenn’s um den Tanz
nun geht, ob einer jung ist oder älter schon.
Nein! Will er doch von allen gleich geachtet sein
und zählt, wenn man ihn ehrt, die Lebensjahre nicht.
Kadmos.
210Da du, Teiresias, das Licht ja nicht mehr siehst,
erkläre ich mit Worten, was sich uns hier zeigt.
In größter Eile naht sich Pentheus dem Palast,
Echions Sohn, dem ich die Macht im Lande übergab.
Er ist ganz außer sich. Was kündet er uns wohl?
Pentheus.
Ich weilte bisher auswärts, war nicht hier im Land,
doch hör ich eine Schreckenskunde in der ganzen Stadt:
Die Weiber insgesamt verließen Haus und Herd
zu nachgeäfftem Bakchosdienst; sie sitzen im
Gebirg im Schatten, ehren dort den neuen Gott
220Dionysos mit Tänzen, sei er, wer er will.
Sie stellen mitten in dem Schwarm den Mischkrug auf;
sie stehln auch hier und dort sich in die Einsamkeit
und schlafen da mit Männern, heucheln Opferdienst
und ziehn in Wahrheit Kypris dem Gott Bakchos vor.
Doch alle, die ich einfing, banden Diener gleich
und halten sie im städtischen Gefängnis fest,
und die noch fehlen, hol ich vom Gebirge mir:
Ino, Agaue, die mich Echion gebar,
230dazu Aktaions Mutter, die Autonoe.
Ich lege sie in Eisen, treibe ihnen so
geschwind den üblen Bakchos-Schwindel aus.

Man sagt jedoch, ein Fremdling habe ihnen sich,
aus Lydien, Zauberer und Beschwörer, beigesellt,
mit blonden Locken und mit süßem Duft im Haar,
rotwangig und mit Augen voller Liebesreiz.
Er buhlt mit jungen Weibern Tag und Nacht hindurch,
gibt dabei vor, es gehe ihm um Bakchos-Weihn.
Doch habe ich ihn erst in unserm Land gefaßt,
240stößt er nicht mehr den Thyrsos, schüttelt nicht das Haar;
ich schlag ihm nämlich seinen Kopf vom Rumpfe ab.
Der Kerl behauptet ja, Dionysos sei ein Gott,
als kleines Kind einst eingenäht ins Bein des Zeus.
In Wahrheit traf ihn samt der Mutter doch der Blitz,
weil sie höchst frech daherlog, Zeus hab’ sie „geliebt“.
Ist der nicht würdig, daß man ihm die Schlinge knüpft,
der fremde Frevler, sei er, wer er will?

Doch seh ich, kaum zu glauben, daß Teiresias,
der Zeichendeuter, nun ein buntes Hirschfell trägt,
250seh meiner Mutter Vater, der – wie lächerlich -
den Thyrsos schwingt. Ich find’s abscheulich, wenn ich seh’,
wie unverständig ihr in eurem Alter seid!
Wirfst du nicht gleich den Epheu weg, legst aus der Hand
den Thyrsos, Kadmos, Vater meiner Mutter du?
Du hast, Teiresias, ihn verführt und willst, wenn du
den neuen Dämon bei den Menschen einführst, dir
Gewinn aus Vogelschau und Opferfeuern ziehn.
Wenn dich das graue Haar nicht schützte, säßest du
schon längst im Kerker bei den Bakchosweibern ein,
260weil du das Volk zu üblem Kult verführen willst.
Erlaben nämlich Weiber sich beim Mahl am Wein,
dann kann am Bakchosdienst gewiß nichts Gutes sein.
Chor.
O welcher Frevel! Scheust du, Herr, die Götter nicht
und Kadmos, der die erdentsprossene Schar gesät?
Entehrst du, Sohn des Echion, den eignen Stamm?
Teiresias.
Stets, wenn ein Kluger guten Grund zu reden hat,
dann fallen gute Argumente ihm nicht schwer.
Bei dir nun läuft die Zunge wie beim klugen Mann,
doch fehlt es deinen Worten gänzlich an Verstand.
270Ist einer keck nur und führt stets das große Wort,
ist er ein schlechter Bürger, wenn ihm Einsicht fehlt.
Die neue Gottheit nämlich, die du so verhöhnst –
ich kann kaum schildern, wie sie bald in Griechenland
zur Größe wächst. Es gibt ja, junger Mann, nur zwei
der höchsten Güter für uns Menschen, Demeter,
sag’ auch die Erde, nenne sie so, wie du willst.
Sie nährt uns Menschen alle mit der trocknen Frucht.
Der zweite, Semeles Sohn, erfand das Gegenstück,
den feuchten Trank der Traube, führt ihn bei uns ein;
280er lindert Sterblichen des Leidens Last, wenn sie
sich satt getrunken an des Rebstocks süßem Saft.
Er schenkt uns Schlaf, läßt uns des Tages Mißgeschick
vergessen; nichts hilft besser gegen alle Not.
Der Wein wird Göttern gern gespendet, ist ein Gott,
so daß den Menschen durch ihn Glück und Segen wird.

Und wenn du ihn verlachst, weil er ins Bein des Zeus
genäht war, lehr ich dich, den hohen Sinn verstehn:
Als Zeus ihn aus des Blitzes Feuer barg, nahm er
das Götterkind hoch droben im Olympos auf.
290Zwar wollte Hera aus dem Himmel schleudern ihn,
doch wirkt entgegen ihr mit Götterklugheit Zeus.
Er nahm ein Stück des Äthers, der die Erd’ umgibt,
bot dieses Scheinbild (homeros) Hera und errettet so
den Bakchos vor der Gattin Ränken. Später dann
erzählte man sich, Bakchos sei ins Bein des Zeus
genäht gewesen, tauschte, „Schein“ mit „Bein“ (meros), als ob
Zeus Hera einst ein „Schein“-Bild übergeben hätt’.

Der Gott ist auch ein Seher, denn des Gottes Rausch
läßt Sehertum entstehen in Begeisterten.
300Dringt nämlich Gott mit Fülle in den Körper ein,
läßt Aufgeregte er die Zukunft deuten. Auch
vom Ahnen Ares überkam ein Erbteil er:
Ein Schreck ergriff einst auch ein Heer, bewaffnet und
wohl aufgestellt, noch eh es nach der Lanze griff.
Auch solche Panik hat Dionysos bewirkt.
Du wirst auch sehen, wie er über Delphis Fels
mit Fackeln auf der Höhe zwischen Gipfeln stürmt,
den Thyrsosstab dort schüttelnd schwingt und auch
in Hellas groß sich zeigt. Drum folge, Pentheus, mir,
310sag prahlend nicht, Gewalt hab über Menschen Macht,
und daß, wenn du was meinst (die Meinung aber krankt),
du immer recht hast. Nimm den Gott im Lande auf
und opfere, schwärme und bekränze dir das Haupt.
Verliebte zügeln ist des Bakchos Sache nicht.
Es liegt in ihrem eignen Wesen, wenn sie stets
Vernunft und Sittsamkeit einhalten, und dies mußt
du wohl bedenken, denn im Bakchostaumel selbst
wird jene, die sich zügelt, nicht verführbar sein.
Sieh auch! Du freust dich selbst, wenn viele vor dem Tor
320sich drängen und die Stadt des Pentheus Namen preist.
Auch Bakchos, denk ich, hat es gern, wenn man ihn ehrt.
Ich jedenfalls und Kadmos, den du so verhöhnst,
wir kränzen uns mit Epheu, werden tanzen auch,
ein greises Paar, das trotz des Alters tanzen soll.
Kampf gegen Gott? Nein, dazu bringt dein Wort mich nicht.
An Raserei bist du ja schwer erkrankt und wirst
mit Kräutern nicht geheilt und auch nicht ohne sie.
Chor.
Die Rede, alter Herr, bringt Phoibos Ehre ein,
und rechten Sinns lobst Bromios du, den großen Gott.
Kadmos.
330Mein Sohn, Teiresias mahnte dich mit weisem Wort.
Halt dich an uns und übertritt nicht Recht und Brauch;
du hängst ja in der Luft, sinnst ohne rechten Sinn.
Sollt jener auch kein Gott sein, wie du sagst,
dann nenn ihn dennoch so, erkenn ihn passend an.
Auch gelte Semele als Mutter eines Gotts,
denn das bringt auch der Kadmos-Sippe Ruhm.

Sieh doch den schlimmen Tod Aktaions an, den ja
die Hunde grausam rissen, die er selbst aufzog.
Verstieg er sich doch, eitel prahlend, zu dem Wort,
340er jage besser im Gebirg als Artemis.
So solls dir nicht ergehen. Komm! Ich kränze dir
das Haupt mit Epheu. Ehre du den Gott mit uns!
Pentheus.
Rühr mich nicht an! Geh hin und schwärme als Bakchant,
doch stecke mich mit deiner Torheit ja nicht an.
Den Lehrer aber deiner Narrheit will ich gleich
zur Rechenschaft ziehn. – Geht alsbald dorthin, wo er
auf seinem Sitz die Vogelschau betreibt! Man soll
den Sitz mit Hebeln stürzen, alles noch einmal
umwerfen und zerschlagen und umwühlen noch.
350Die Seherbinden werfe man in Wind und Sturm,
denn damit treffe ich ihn mitten in das Herz.
Ihr andern aber streift nun durch die Stadt und spürt
dem fremden Weichling auf, der mit der neuen Pest
die Weiber ansteckt, alle Ehen schnöd entweiht.
Und fingt ihr ihn, so fesselt ihn und schleppt ihn her,
damit man ihn zur Strafe steinigt, wie es recht,
auf daß er spürt, wie hart für Schwärmen man hier büßt.
Teiresias.
Unseliger Mann, du weißt ja nicht mehr, was du sprichst.
Jetzt rasest du, warst längst schon nicht mehr bei Verstand.
360Komm, laß uns gehen, Kadmos, laß uns bitten für
den Mann da, tobe er auch noch so wild.
Laß uns auch bitten für die Stadt, daß nicht der Gott
uns gar ein Unheil sende. Geh mit mir am Epheustab!
Du magst mich stützen, und ich stütze wiederum dich;
kein schöner Anblick, wenn zwei Greise straucheln. Laß
uns dennoch gehn. So dienen wir dem Sohn des Zeus,
damit nicht Pentheus Leid ins Haus des Kadmos bringt.
Das sag ich nicht als Seher, sondern deute nur,
was auf der Hand liegt. Jener Tor spricht töricht nur.

1. Stasimon (Standlied, 370–432)

Chor.
370(A) Heiliges Recht, hehre Göttin,
Heiligkeit, goldengeflügelt,
die über die Erde hinschwebt,
hörst du die Worte des Pentheus?
Hörst du die Läster-Reden,
frevelnd gegen Gott Bakchos,
Semeles Sohn, der bei Festen,
kranzgeschmückten, als Erster
aller Götter sich zeigt. Ihm ist gegeben:
Schwärmen in tanzendem Chore,
380Lachen beim Klang der Flöte,
Linderung jeglichen Kummers
stets, wenn des Traubentranks Leuchten
aufscheint beim Göttermahl, und wenn
bei den Festen der Mischkrug
epheubekränzte Männer in Schlaf hüllt.
(Ab) Endet doch zuchtloses Reden
wie auch gesetzlose Torheit
stets in schrecklichem Unheil.
Ruhiges Leben jedoch,
390verständig geführt,
bleibt unerschüttert,
hält Häuser zusammen. Selbst wenn
Götter im Äther fern wohnen,
sehn sie doch Taten der Menschen.
Schlauheit ist aber nicht Weisheit,
nicht auch vermessenes Streben.
Kurz ist das Leben, und so wird,
wer das allzu Großes erstrebt,
Mögliches bald verfehlen.
400Solches Handeln ist Wahnwitz;
es beweist auch – so mein ich –
Unverstand eines Mannes.

(B) Käm ich doch einmal nach Kypros,
zu Aphrodites Insel,
wo in Paphos Eroten wohnen,
die Menschenherzen beglücken,
wo Wogen des fremden <Nil->Flusses,
das Land mit hundert Mündern
ohne Regen befruchten.
410Dorthin auch, wo der schönste
Musensitz liegt, Pierien,
heiliger Hang des Olympos.
Dorthin führ mich, Bromios, jubelnd,
Reigenführer der Bakchen.
Dort ja wohnen Chariten,
dort auch die Sehnsucht, dort dürfen
Bakchen Mysterien feiern.

(Bb) Unser Gott, der Zeus-Sohn,
erfreut sich an Festen,
liebt Eirene, die Wohlstand spendet,
420jung-starke Männer uns schenkt.
Reichen sowohl wie Ärmern
schenkt Bakchos des Weines Gabe,
die erfreut und Kummer lindert.
Gott haßt den, der sich nicht müht,
am Tag und in schöner Nacht
sein Leben glücklich zu führen,
Sinn auch und Geist <nicht> klug fernhält
von maßlosen Männern.
430Was schlichtes Volk für recht hält und treibt,
mache ich mir zu eigen.

Zweites Epeisodion (Akt, 434–518)

Wächter.
Zur Stelle sind wir, Pentheus, bringen diesen Fang,
nach dem du uns entsandt. Der Auszug ist geglückt.
Das Wild erwies sich zahm, entzog sich nicht durch Flucht,
nein, jener bot aus freiem Willen seine Hand,
erbleichte nicht, verlor der Wangen Röte nicht,
ja, wollte lächelnd, daß gefesselt man ihn führt,
440hielt still und ließ mich, was ich mußte, schicklich tun.
Ich schämte mich jedoch und sprach: „Freiwillig nicht
führ’, Fremder, ich dich ab. Pentheus befahl es so.“
Die Bakchen aber, die du aufgriffst und gefesselt hieltst
im Staatsgefängnis und in Ketten dort, die sind
befreit und eilten fort zum Schwärmen im Gebirg.
Sie riefen ihren Gott an, jenen Bromios.
Von selber lösten Fesseln sich von ihrem Fuß,
Tür-Riegel sprangen auf, von keiner Hand berührt.
Voll hoher Wunderkraft kam dieser Mann hierher
450nach Theben. Du jedoch entscheide, was geschieht.
Pentheus.
Löst ihm die Hände, denn er steckt ja noch im Netz,
ist nicht so schnell, daß er mir jetzt entgehen kann.
Du aber, Fremder, bist nicht übel anzusehen,
besonders für die Weiber; dazu kamst du ja.
Die Locken trägst du lang, nicht wie die Ringer kurz;
sie fließen an den Wangen, regen Sehnsucht auf.
Die Haut ist weiß; du hast mit Sorgfalt sie gepflegt,
der Sonne Strahl vermeidend, bliebst im Schatten nur
und gehst als schöner Mann stets nur auf Liebe aus.
460Zuerst nun sage mir einmal, woher du stammst.
Dionysos.
Da braucht’s nicht langes Reden, es ist leicht gesagt:
Vom blumenreichen Tmolos hast du wohl gehört.
Pentheus.
Ich weiß, es ist der Berg, der Sardes rings umgibt.
Dionysos.
Von dorther komm ich. Lydien ist mein Heimatland.
Pentheus.
Woher hast du die Weihen, die du Hellas bringst?
Dionysos.
Dionysos, des Zeus-Sohn, weihte selbst mich ein.
Pentheus .
Gibt es dort einen Zeus, der neue Götter zeugt?
Dionysos.
Nein, der ist’s, der mit Semele sich hier verband.
Pentheus.
War es bei Nacht, sahst ihn du, als er dich ergriff?
Dionysos.
470Wir sahn uns, und geheime Dienste lehrt er mich.
Pentheus.
Was sind das denn für Dienste? Wie stehst du dazu?
Dionysos.
Unkündbar jenen, die darin nicht eingeweiht.
Pentheus.
Hat einer Nutzen, wenn er dabei Opfer bringt?
Dionysos.
Du darfst’s nicht hören. Freilich wär es wissenswert.
Pentheus.
So hintergründig sprichst du, daß mich Neugier packt.
Dionysos.
Der Dienst des Gottes schließt gottlose Menschen aus.
Pentheus.
Du sahst den Gott ja deutlich, sprich: Wie sah er aus?
Dionysos.
Er zeigt’ sich, wie er wollte. Nicht von mir hings ab.
Pentheus.
Schon wieder weichst du schlau aus, sagtest aber nichts.
Dionysos.
480Des Klugen Rede scheint nur Toren ohne Sinn.

Pentheus.
Ist dies das erste Land, in das den Gott du führst?
Dionysos.
Nein, denn ganz Asien schwärmt bereits in seinem Dienst.
Pentheus.
Barbaren stehn den Griechen weit an Einsicht nach.
Dionysos.
Doch hierin sind sie klüger. Anders freilich ist ihr Brauch.
Pentheus.
Vollziehst die Riten nachts du oder auch am Tag?
Dionysos.
Vor allem nachts, denn feierlich ist Dunkelheit.
Pentheus.
Sie lockt die Weiber an und sie verführt sie auch.
Dionysos.
Doch eine Schandtat führt man auch am Tage aus.
Pentheus.
Für deine Winkelzüge mußt du büßen nun.
Dionysos.
490Und du für Starrheit und den Frevel gegen Gott.
Pentheus.
Wie frech und wortgewandt ist dieser Bakchosfreund!
Dionysos.
Sag, was mir droht, was Arges du mir antun willst!
Pentheus.
Als erstes scher ich dir die feinen Locken ab.
Dionysos.
Das Haar ist heilig; für den Gott trag ich es lang.
Pentheus.
Als nächstes gib den Thyrsosstab gleich aus der Hand.

Dionysos.
Hol ihn dir selbst! Ich trag ihn für Dionysos.
Pentheus.
Wir sperren dich gefesselt hier im Hause ein.
Dionysos.
Der Gott wird mich befreien, wenn ich es so will.
Pentheus.
Ja! Wenn du bei den Weibern stehst und nach ihm rufst.
Dionysos.
500Auch jetzt ist Bakchos nah und sieht, was mir geschieht.
Pentheus.
Wo sollt er sein? Ich kann ihn jedenfalls nicht sehn.
Dionysos.
Er ist bei mir. Du Gottesleugner siehst ihn nicht.
Pentheus.
Packt ihn! Er bietet mir und der Stadt Theben Hohn.
Dionysos.
Einsichtig warn ich Einsichtslose: „Wagt es nicht!“
Pentheus.
Ich laß dich fesseln. Ich bin mächtiger als du.
Dionysos.
Du weißt nicht, was du sollst und tust, noch wer du bist.
Pentheus.
Doch! P e n theus, Sohn Agauens und Echions Sproß.
Dionysos.
Dein Name weist auf P e i n , die bald dein Schicksal ist.
Pentheus.
Fort mit ihm! Sperrt ihn in den nahen Pferdestall,
510so daß sein Auge nur mehr dunkle Nacht erblickt.
Dort tanze. Jene aber, die du hergeführt,
Gehilfen deiner Frevel, die verkaufe ich
oder ende nun ihr Lärmen auf dem Trommelfell
und mache sie zu Sklavinnen am Webstuhl hier.
Dionysos.
Ich geh nun; was mir nicht bestimmt ist, das muß ich
nicht dulden. Doch für deine Freveltat wird bald
Dionysos dich strafen, den du keck verneinst.
Denn kerkerst du mich ein, trifft dieses Unrecht ihn.

Zweites Stasimon (Standlied, 519–575)

Chor.
(A) Acheloos Tochter,
520schöne, hehre Jungfrau Dirke,
du hast doch in deiner Quelle
einst den Zeus-Sohn aufgenommen,
als ihn aus dem ewigen Feuer
raffend Vater Zeus im Schenkel
barg und dabei ausrief:
„Komm nun, Dithyrambos, birg dich
hier in meinem Mannesleibe!
Ich enthülle dich, mein Bakchos,
Theben unter diesem Namen.
530Aber nun, o selige Dirke,
treibst uns fort, du, die Bekränzten,
die an deinen Ufern feiern.
Was verstößt du mich und fliehst mich?
Bei der traubenreichen Gabe
des Dionysos schwör ich aber:
Einst wirst du gewiß dich
noch nach Bromios sehnen.

(Aa) Welchen Zorn beweist doch
jener Erdsohn,
der entstammt den Drachenzähnen,
540dieser Pentheus, den Echion,
selbst ein Erdsohn, einst erzeugte
als wildblickendes Ungeheuer,
nicht als Menschen, nein als Mörder,
als Giganten, Gottbekämpfer!
Uns, des Bromios Dienerinnen,
fesselt er nun bald mit Stricken;
unseren Schwarmgefährten aber
hält im Haus er schon gefangen,
eingesperrt in finsterm Kerker.
550Siehst du dies an, Sohn des Zeus, du,
Bromios, wie deine Künder
schwer bedrängt sind und in Nöten?
Eil herab, Herr, vom Olympos,
schwing den Stab, der golden schimmert,
hemm’ die Mordlust jenes Frevlers!

Wo im tierereichen Nysa
führst du, Bromios, mit dem Thyrsos
deine Schwärme,
oder auf Korykos’ Gipfeln?
560Eher in waldreichen Gründen
des Olympos, wo einst Orpheus
mit den Klängen seiner Leier
Bäume um sich scharte und auch
wilde Tiere zu sich lockte.
Glücklich bist du, Land Pierien,
Bakchos ehrt dich; kommen wird er,
tanzen dort bei seinen Festen,
wird auch wirbelnde Mainaden,
schreitend über den raschen Axios,
570dorthin führen, querend auch den
Lydias-Fluß, den Vater, der den
Menschen Glück und Segen spendet,
der auch, heißt’s, das rossereiche
Land mit seinen Wasserfluten
segensreich befruchtet.

Drittes Epeisodion (3. Akt, 576–861)

Dionysos (im Palast).
Io!
Hört meinen Ruf, hört den Ruf,
Io, Bakchen, Io, Bakchen!
Chor.
Wer ist es, wer <ist’s>, woher hat uns
der Ruf des Euios getroffen?
Dionysos.
580Io, io ruf ich wieder,
ich, Semeles Sohn und Sohn des Zeus.
Chor.
Io, io, unser Herr,
komm nun zu unserem Schwarm,
Bromios, Bromios.
Dionysos.
Laß beben den Erdgrund, Gottheit des Bebens!
Chor.
Ah, sieh!
Gleich wird des Pentheus Haus
ins Wanken kommen und zu Fall.
Dionysos ist im Palast.
590Verehrt ihn! – Wir ehren ihn ja.
Seht ihr am steinernen Säulenbau dort,
wie er reißend zersprang? Es ist Bromios, der
im Hause den Siegruf erhebt.
Dionysos.
Entzünde die strahlende Flamme des Blitzes!
Brenne, verbrenne des Pentheus Schloß!
Chor.
Ah, ah!
Siehst du nicht die Flamme, siehst du
sie an Semeles heiligem Grab,
Flamme, die einst, mit Donner geschleudert,
der Blitz des Zeus hinterließ?
600Werft zur Erde die bebenden Leiber,
werft sie, Mainaden!
Unser Herr stürzt ja alles kopfüber und greift
dieses Haus an, der Sohn des Zeus.
Dionysos.
Fremden Landes Frauen, seid ihr gar so sehr von Furcht bestürzt,
daß ihr jetzt zu Boden sankt? Ihr spürtet, denk’ ich, doch wohl, daß
hier Dionysos des Pentheus Haus erschüttert. Doch steht auf,
faßt nur Mut und überwindet Furcht und Zittern eures Leibs.
Chor.
Schönstes Licht, wo wir, die Deinen, jubeln bei des Gottes Fest;
welche Freude, dich zu sehen nun nach Haft und Einsamkeit!
Dionysos.
610Mutlos wart ihr wohl, als man mich führte in die Kerkerhaft,
fürchtend, daß man in des Pentheus dunklen Zwinger werfe mich.
Chor.
Wie auch nicht? Wer war uns Helfer, wenn dich solches Unheil traf?
Doch, wie fandest du zur Freiheit aus der Macht des Schurken dann?
Dionysos.
Selber hab’ ich mich gerettet, ohne Mühe und ganz leicht.
Chor.
Hatte er nicht beide Hände dir mit Stricken fest umschnürt?
Dionysos.
Hierin macht ich ihn zum Spotte, meint er doch, er binde mich,
wiegte sich in falscher Hoffnung, halten konnte er mich nicht.
Dort, wo er mich einschloß, fand er an der Krippe einen Stier,
dessen Beine er mit Fesseln so an Knie wie Hufen band,
620wütend schnaubt er, und vom ganzen Körper tropfte ihm der Schweiß.
Zornig biß er sich die Lippen, als ich nahe bei ihm saß
und in aller Ruhe zusah. Doch im gleichen Augenblick
kam Dionysos; er ließ das Haus erbeben und entflammt
Feuer auf dem Grab der Mutter. Pentheus sah’s und meinte gleich,
sein Palast steh schon in Flammen, rannt umher und gab Befehl
„Holt rasch Wasser!“ seinen Dienern. Jeder müht sich, doch umsonst.
Darauf ließ das Haus er Haus sein, meinte wohl, ich sei entflohn,
rannte gleich hinein und riß das düstere Mordschwert dort an sich.
Doch ließ Bromios, wie ich meine (Meinung freilich ist es nur)
630dort mein Bild im Hof erscheinen, jener aber stürzt sich drauf,
stach jedoch nur nach dem Blendwerk, wähnend, er durchbohre mich.
Eine weitere Kränkung aber fügte Bakchos ihm hinzu,
Nieder riß er den Palast ihm. Alles liegt in Trümmern nun.
Bitter rächte sich an Pentheus, daß er mich in Fesseln hielt.
Ganz erschöpft warf er das Schwert hin, hatte er es doch gewagt,
wider Gott als Mensch zu kämpfen. Ganz gelassen komme ich
aus dem Haus zu euch gegangen, kümmere mich um jenen nicht.
Wie ich aber meine – denn man hört ja Schritte dort im Haus –
kommt er gleich zum Vorhof. Was er wohl zu all dem sagen wird?
640Leicht ja werd’ ich ihn ertragen, mag er schnauben auch vor Wut.
Denn ein Kluger handelt immer klug und mit Besonnenheit.
Pentheus.
Ein böser Fehlschlag! Ist der Fremde doch entwischt,
den eben ich gefangen und in Fesseln hielt.
Da steht der Mann ja! Wie kamst du denn hier heraus,
erscheinst vor meinem Hause, und wie kamst du frei?
Dionysos.
Bleib ruhig stehn und stürme in der Wut nicht los!
Pentheus.
Wie konntest du der Haft entfliehn und kamst hierher?
Dionysos.
Sagt ich nicht – warst du taub? – daß einer mich befreit?
Pentheus.
650Wer war’s? Du bringst ja immer neue Flausen vor.
Dionysos.
Er, der der Welt den traubenreichen Weinstock gab.
Pentheus.
Die „feine Gabe“ bringt dem Bakchos Schande nur.
Man schließe jedes Tor im Mauerring der Stadt!
Dionysos.
Wozu? Selbst Mauern übersteigen Götter leicht.
Pentheus.
Klug bist du, nur nicht dort, wo es die Klugheit braucht.
Dionysos.
Wo es am meisten nottut, bin gewiß ich klug.
Doch höre nun zuerst, was jener Bote sagt,
der vom Gebirge herkommt und dir Kunde bringt.
Ich bleibe aber bei dir, und will nicht entfliehn.
Bote.
660Ich komme, Pentheus, Herrscher hier im Thebenland,
vom Berg Kithairon her, wo glitzernd weißer Schnee
ununterbrochenen Falls zur Erde niedersinkt.
Pentheus.
Und welche wichtige Kunde bringst du uns von dort?
Bote.
Ich sah die wilden Bakchen, die aus unserm Land
enteilten, rasend und mit nacktem Fuß.
Ich komme, um dir, Herr, wie auch der ganzen Stadt
zu melden, daß sie dort ganz Unerhörtes tun.
Doch will ich hören, ob ich dir frei sagen darf,
was dort geschieht, ob ich die Rede zügeln muß.
670Ich fürchte nämlich, Herr, dein allzu rasches Blut,
den Zornmut und die gar zu königliche Art.
Pentheus.
Sprich frei und sei getrost: Ich krümme dir kein Haar,
denn dem Gerechten zürnen – nein, das darf man nicht.
Je Schlimmeres nämlich du von jenen Bakchen sagst,
um desto schärfere Strafe legen wir dem Mann,
der solches sie gelehrt, wie recht und billig, auf.
Bote.
Die Rinderherden stiegen eben erst hinauf
zur hohen Weide in der Morgenfrühe, wenn
die Sonne wärmend Strahlen auf die Erde schickt.
680Drei Weiberscharen sah ich; eine führte an
Autonoe, die erste, und die zweite dann
Agaue, deine Mutter; Ino kam zuletzt.
Sie schliefen alle mit gelösten Gliedern, und
die einen lehnten dort an Fichtenzweige sich,
die andern betteten in Eichenlaub ihr Haupt
am Boden, lässig, züchtig und nicht, wie du meinst,
daß sie, von Wein und Flötenklang berauscht, im Wald
sich einzeln bargen auf der Jagd nach Liebesglück.

Doch deine Mutter stand im Kreis der Bakchen auf
690und rief: „He! Schüttelt nun den Schlaf von euch!“
(sie hatte ja des Hornviehs Muhen dort gehört).
Die Weiber rieben aus den Augen sich den Schlaf,
der tief war, sprangen auf in staunenswerter Zucht,
so jung wie alt, auch Mädchen, ungebunden noch.
Erst ließen auf die Schultern sie das Haar herab
und ordneten die Felle, deren Bänder sich
gelöst, umwanden dann das buntgescheckte Fell
mit Schlangen, die nach ihren Wangen züngelten.
Auch hielten manche Rehlein, junge Wölfe gar
700im Arm und säugten sie mit ihrer weißen Milch.
Das waren junge Mütter, deren Brust noch schwoll;
die Kinder ließen sie im Haus und setzten sich
von Epheu, Eichenlaub und Windenblüten Kränze auf.
Die eine schlug den Thyrsosstab an einen Fels,
aus dem sogleich ein Quell taufrischen Wassers sprang.
Die zweite dann stieß auf die Erde ihren Stab,
worauf der Gott dort einen Weinquell sprudeln ließ.
Und wer Verlangen trug nach süßer, weißer Milch,
kratzt mit den bloßen Fingern dort die Erde auf
710und hatte Milch in Fülle dann. Auch tropfte aus
dem Epheu an den Stäben süßer Honigseim.
Wärst du dabei gewesen, hättest es gesehn,
du hättst den Gott verehrt, den jetzt dein Vorwurf trifft.

Wir Schaf- und Rinderhirten trafen uns, um nun
wetteifernd zu erklären, was denn wohl
an Seltsam-Wundernswertem dort vor uns geschah.
Und einer, der sich in der Stadt herumtreibt, der
das große Wort führt, rief uns allen zu: „Ihr, die
ihr wohnt auf hehren Höhen, wollen wir denn nicht
720des Pentheus Mutter aus dem Schwarme fangen und
uns so vom Herrscher Dank verdienen?“ Er schien uns
recht guten Rat zu geben. Wir verbargen uns
in dichtem Buschwerk. Doch die Weiber schwangen nun
zur festgesetzten Zeit den Thyrsos zu des Bakchos Fest
und riefen wie im Chor den Iakchos, Sohn des Zeus,
mit „Bromios“ an, und auch der ganze Berg
mit allen Tieren schwärmte, nichts blieb unbewegt.
Zufällig lief Agaue nah bei mir vorbei;
ich sprang gleich auf und wollte packen sie mit Macht,
730indem ich das Gebüsch verließ, das mich verbarg.
Sie aber schrie: „Ihr, die ihr meine Meute seid,
die Männer machen Jagd auf uns. Auf! Folgt mir nach!
Gebraucht den Thyrsos jetzt als Waffe in der Hand.“

Wir rannten fort; es hätten uns die Bakchen sonst
zerrissen. Diese fielen nun mit bloßer Hand
die Kälber an, die dort im Grase weideten.
Man sah, wie eine Bakche eine Milchkuh nun,
die blökte, mit den Händen aus der Herde riß.
Die andern packten Kälber und zerrissen sie;
740man sah, wie Rippen oder ein gespaltener Huf
nach oben flogen und herab, und manches Stück
hing dort am Fichtenast und tropfte noch von Blut.
Auch senkten wilde Stiere wütend erst das Horn,
doch stürzten sie zur Erde dann und wurden von
zahllosen Händen junger Weiber fortgezerrt.
Noch rascher war das Fleisch am Rinderleib zerstückt,
als du die königlichen Lider schließen kannst.

Sie stürmten tanzend, wie ein Vogelschwarm auffliegt,
hin übers Feld dort beim Asopos-Fluß, der den
750Thebanern Korn in überreicher Fülle schenkt.
Wie Feinde fielen sie in Hysiai und Erythrai ein,
den Dörfern, wo man unten am Kithairon wohnt,
zerstörten alles, schleppten Kinder aus dem Haus.
Doch was sie immer auf die Schultern luden, blieb
dort ohne Bänder fest und fiel zur Erde nicht,
mocht’s Eisen oder Erz nun sein. Auf ihrem Haar
glomm Feuer, doch es brannt sie nicht. Und wütend griff
zur Waffe jeder Dörfler, den die Plünderung traf.
760Da sah man, Herr, ein Schauspiel, das ganz schrecklich war:
Der Männer Speer verwundete die Weiber nicht,
doch diese, wenn den Thyrsosstab sie schleuderten,
verletzten ihre Gegner, trieben sie zur Flucht,
die Weiber Männer. Ihnen half gewiß ein Gott.
Doch wandten sie sich dann zum Ort, von dem
sie kamen, zu dem Quell, den Bromios ihnen gab.
Sie wuschen sich das Blut ab, Schlangen leckten auch
die Tropfen von den Wangen, leckten so sie rein.
Den Gott nun, sei er, wer er wolle, Herr, nimm auf
770in dieser Stadt. Er ist in allem anderen groß,
besonders aber, wie ich höre, weil er uns
den Weinstock schenkt, der Menschen alle Schmerzen stillt.
Denn gäb es keinen Wein, gäb es die Liebe nicht
und alles andere, was die Menschen noch erfreut.
Chor.
Kaum wage ich beim Herrscher dieses freie Wort;
gleichwohl sprech ich es aus: Der Gott Dionysos
steht wahrlich hinter keinem anderen Gott zurück.
Pentheus.
Schon greift der Bakchosfrevel wie ein Brand um sich,
der uns in Hellas große Schande bringt.
780Da gilt kein Zaudern. Eile zum Elektrator,
ruf alle auf, die Schilde tragen, weiterhin
die Reiter auf den raschen Pferden, jene auch,
die leichten Schild nur tragen, dazu andere,
die ihre Bogensehnen klingen lassen, denn es gilt
die Bakchen anzugreifen. Nichts ist schlimmer als
von Weibern zu ertragen, was uns hier geschieht.
Dionysos.
Zwar wirst du, Pentheus, nicht gehorchen meinem Rat,
und wenn du mir auch Unrecht tatest, rate ich
dir doch: Erhebe nicht die Waffen gegen Gott,
790nein, halte still! Denn Bromios duldet nicht, daß du
die Bakchen von den Bergen, wo sie jubeln, treibst.
Pentheus.
Du wirst mich nicht schulmeistern. Einmal kamst du frei;
verscherz es nicht! Soll ich denn nochmal strafen dich?
Dionysos.
Ich würd’ ihm lieber opfern und nicht jetzt im Zorn
dem Gott mich widersetzen; das ziemt Menschen nicht.
Pentheus.
Ich opfere, und zwar viele Weiber nach Verdienst;
ein Blutbad richt ich in Kithairons Schluchten an.
Dionysos.
Ihr werdet alle fliehen. Schande bringt es euch,
wenn erzene Schilde weichen vor dem Thyrsos-Stab.
Pentheus.
800Wie unerträglich ist der Fremde doch, der nicht,
mag tun er oder leiden, endlich schweigen kann!
Dionysos.
Noch kannst du, Freund, zum Guten wenden diesen Fall.
Pentheus.
Ja wie? Soll ich der Sklave meiner Mägde sein?

Dionysos.
Ich bringe dir die Frauen ohne Kampf zurück.
Pentheus.
Aha! Schon wieder eine Hinterlist erdacht!
Dionysos.
Wie so? Ich will dich retten doch auf diese Art.
Pentheus.
Ihr habt, um stets zu schwärmen, abgesprochen euch.
Dionysos.
Ja, es ist abgesprochen, aber mit dem Gott.
Pentheus.
Bringt mir die Waffen! Du jedoch, schweig endlich still!
Dionysos.
810Wie? Willst du sie am Berg gemeinsam lagern sehn?
Pentheus.
Und wie! Ich böte dafür gerne schweres Gold.
Dionysos.
Weshalb liegt dir an diesem Schauspiel gar so viel?
Pentheus.
Ich sähe die Betrunkenen freilich nur mit Schmerz.
Dionysos.
Und dennoch sähst du gern, was dich so sehr empört?
Pentheus.
Gewiß, doch still und unter Fichten wohl versteckt.
Dionysos.
Aufspüren werden sie dich, kommst auch heimlich du.
Pentheus.
Dann komm ich offen. Damit hast du sicher recht.
Dionysos.
Soll ich dich führen? Machst du nun dich auf den Weg?

Pentheus.
820So rasch wie möglich, jeder Aufschub ärgert mich.
Dionysos.
Dann lege dir erst leinene Gewänder an.
Pentheus.
Wozu? Soll ich zum Weibe werden ich, ein Mann?
Dionysos.
Sie töten dich sonst, wenn man dich als Mann erkennt.
Pentheus.
Da hast du wieder Recht. Ein Schlaukopf eh und je!
Dionysos.
Es war Dionysos, der solches mich gelehrt.
Pentheus.
Wie soll geschehen, was du so geschickt mir rätst?
Dionysos.
Ich geh mit dir ins Haus und kleide dich dort ein.
Pentheus.
Mit welcher Kleidung? Weiblich? Nein! Ich schäme mich.
Dionysos.
Dann willst du die Mainaden also doch nicht sehn.
Pentheus.
830An welche Kleidung hast du denn für mich gedacht?
Dionysos.
Als erstes sollen Locken wallen dir vom Haupt.
Pentheus.
Was ist das nächste Stück dann meiner neuen Tracht?
Dionysos.
Ein Kleid, das bis zum Fuß reicht, Binde um das Haupt.
Pentheus .
Und hast du sonst noch etwas anzulegen mir?

Dionysos.
Das bunte Hirschkalbfell, den Thyrsos in die Hand.
Pentheus.
Ich bring’s nicht fertig, Weiberkleider anzuziehn.
Dionysos.
Doch kämpfst du mit Mainaden, fließt gewiß viel Blut.
Pentheus.
Recht hast du. Also muß ich erst auf Kundschaft gehn.
Dionysos.
Weit klüger ist’s, als wenn durch Kampf du Leid dir schaffst.
Pentheus.
840Wie komm ich unbemerkt durch der Kadmeer Stadt?
Dionysos.
Wir nehmen leere Gassen, und ich geh’ voraus.
Pentheus.
Recht ist mir alles, spotten nur die Bakchen nicht.
Gehn wir ins Haus. Ich denke nach, entscheide dann.
Dionysos.
Tu das! Ich stehe gern zu jedem Dienst bereit.
Pentheus (abgehend).
Ich geh’ nun, ziehe dann in voller Rüstung aus.
Vielleicht jedoch befolge ich auch deinen Rat.
Dionysos (zum Chor).
Ihr Frauen, dieser Mann verfängt sich schon im Netz,
trifft auf die Bakchen, und dort büßt er mit dem Tod.
Nun ist’s an dir, Dionysos, du bist ja nah.
850Er soll uns büßen. Nimm zuerst ihm den Verstand,
flöß Leichtsinn ihm und Wahn ein. Ist er bei Verstand,
zieht er sich niemals Weiberkleider an; erst wenn
er ganz und gar verrückt ist, wird er es doch tun.
Ich mache ihn zum Spott bei den Thebanern dann,
führ ihn in Weiberkleidern durch die Stadt, ihn, der
zuvor durch seine Drohungen so schrecklich war.
Doch will ich Pentheus nun den Schmuck anlegen, den
er trägt, wenn er zum Hades geht, erschlagen von
der Mutter. Dann erkennt er, daß Dionysos,
860der Sohn des Zeus, ein wahrer Gott ist, schrecklich zwar,
den Menschen aber mild und freundlich stets gesinnt.

3. Stasimon (Standlied, 862–911)

(A) Werd’ ich in nächtlichem Chore bald
bakchisch tanzend den weißen Fuß
heben, das Haupt in die tauige Luft
werfend, gleichend dem jungen Reh,
das auf wonniger, grüner Au
spielt, wenn es der schrecklichen Jagd
wie auch dem Kreis der Treiber
870springend über die Netze und
flüchtend entrann.
Rufend feuert der Jäger die
Hunde an zu rascherem Lauf.
Wie der Wind eilt das Reh dahin,
längs der Flur und am Fluß entlang,
freut sich, den Menschen fern, der Stille
und schattiger Wipfel des Waldes.

Was ist denn Weisheit? Oder was ist
schöneres Geschenk von den Göttern für
Sterbliche, als die Hand auf das Haupt
880seiner Feinde siegreich zu legen?
Stets ist, was schön ist, uns lieb.

(Aa) Langsam schreitet sie zwar voran,
aber verläßlich ist
Gottes Macht, und sie straft
Menschen, die in vermessenem Sinn
Götterwillen nicht ehren,
gänzlich verblendet auch sind.
Götter verbergen mannigfach
diesen langsamen Schritt der Zeit,
890doch sie ereilen den Frevler. Denn
nie soll einer sich über das Recht
überheben in Denken und Tun.
Leicht läßt sich ja ermessen, daß
Gottes Kraft überwiegt,
mag diese sein auch, wie sie es will;
auch daß alles, was lang schon bestand,
ewiges Recht ist und
in der Natur begründet.

Was ist Weisheit? Oder was ist
schöneres Geschenk von den Göttern für
Sterbliche, als die Hand auf das Haupt
900seiner Feinde siegreich zu legen?
Stets ist, was schön ist, uns lieb.

Glücklich ist, wer dem Sturm des Meers
entkam und den Hafen erreichte;
glücklich ist, wer Mühen überwand.
Einer besiegt auch den andern
so an Besitz wie an Macht.
Viele nähren Hoffnungen, die
manchesmal in Erfüllung gehn
Sterblichen durch Gewinne,
aber auch einmal scheitern.
910Lebt jedoch einer stets beglückt,
diesen preise ich selig.

4. Epeisodion (Akt, 912–976)

Dionysos (tritt aus dem Palast).
Du, der da sehen will, was man nicht sehen darf,
der anstrebt, was man nicht anstreben soll, Pentheus,
tritt nun hervor aus dem Palast und zeige mir,
wie du die Frauen, – Mainaden, – Bakchen – Kleidung trägst
und deine Mutter samt dem Schwarm belauschen willst.
Du siehst wahrhaftig einer Kadmos-Tochter gleich.
Pentheus.
Zwei Sonnen meine ich zu sehn, zwei Theben auch,
und doppelt sehe ich die siebentorige Stadt.
920Auch meine ich, du gehst vor mir in Stiergestalt,
und Hörner, scheint mir, wachsen dir am Haupt.
Warst du zuvor ein Tier? Jetzt bist du ja ein Stier.
Dionysos .
Nun steht der Gott uns bei (doch vorher wars nicht so);
nun ist er uns verbündet; du siehst, was du sollst.
Pentheus.
Wie seh ich denn nun aus? Gleich ich wohl Ino jetzt?
Seh aus ich wie Agaue, meine Mutter, gar?
Dionysos.
Wenn ich dich sehe, mein ich wirklich, sie zu sehn.
Doch drängt aus der Frisur sich eine Locke vor,
die ich dir schicklich unters Band am Haupte schob.
Pentheus.
930Ich warf im Haus das Haupt vor und zurück und tanzt
wie eine Bakche, schüttelte die Locke los.
Dionysos.
Ich will die Locke, bin ich doch dein Diener jetzt,
von neuem ordnen, halt gerade deinen Kopf!
Pentheus.
Gut! Mach mich schön, ich traue dir ja voll und ganz.
Dionysos.
Auch sitzt dein Gürtel locker, und das ganze Kleid
hängt nicht in schönen Falten dir bis an den Fuß.

Pentheus.
So sieht’s auch mir aus, jedenfalls am rechten Bein.
Doch links fällt das Gewand mit Anstand mir herab.
Dionysos.
Du hältst mich bald für deinen besten Freund, siehst du
940die Bakchen wohl gekleidet, nicht so, wie du meinst.
Pentheus.
Soll ich mit meiner rechten oder linken Hand
den Thyrsos halten, um den Bakchen gleichzusehn?
Dionysos.
Halt rechts ihn, tritt rechts an! Ich lobe dich gewiß,
weil sich dein Sinn nun, wie erwünscht, geändert hat.
Pentheus.
Könnt ich Kithairons Gründe mit den Bakchen selbst
auf meine Schultern laden und forttragen nun?
Dionysos .
Du kannst es, wenn du willst. Denn früher war dein Sinn
noch nicht der rechte, doch nun denkst du, wie du sollst.
Pentheus .
Brauchts Hebel? Oder heb den Berg ich mit der Hand
950und stemme Arm und Schultern unter seine Höhn?
Dionysos.
Nein, nein! Zerstöre dort der Nymphen Wohnsitz nicht
auch nicht den Sitz des Pan, der dort die Flöte bläst!
Pentheus.
Du warnst mit Recht. Nicht mit Gewalt darf Frauen man
besiegen. Lieber berge ich mich dort im Tann.
Dionysos.
Du birgst dich so, wie einer sich verbergen muß,
der die Mainaden listig-klug belauern will.
Pentheus.
Ich denke, daß sie im Gebüsch wie Vögel ruhn,
gefangen im verführerischen Liebesnest.

Dionysos.
Ja. Gegen solches Treiben bist du ausgesandt,
960wirst sie wohl fassen, faßt man dich nicht selbst zuvor.
Pentheus.
So führ mich mitten jetzt durch das Thebaner- Land,
bin ich doch hier der einzige Mann, der solches wagt.
Dionysos.
Nur du allein mühst ab dich für die Stadt, nur du,
doch dafür sind dir schwere Kämpfe auch verhängt.
Komm’ mit! Geleiter und Beschützer bin ich dir.
Zurück führt dich ein anderer ...
Pentheus.
... meine Mutter. Ja.
Dionysos.
An dir hängt jeder Blick.
Pentheus.
Denn dazu bin ich hier.
Dionysos.
Man trägt auf Händen dich ...
Pentheus.
Du sprichst von einem Fest.
Dionysos.
Auf Händen deiner Mutter ...
Pentheus.
Du verwöhnst mich ja!
Dionysos.
970Ja, ganz in meiner Art.
Pentheus.
Es steht mir wirklich zu.
Dionysos.
Gewaltig bist du und Gewaltiges leidest du,
so daß dein Ruhm bis hoch empor zum Himmel reicht.
Streckt eure Arme aus, Agaue, Töchter ihr
des Kadmos auch! Ich bringe euch den jungen Mann
zu heißem Kampfe. Siegen aber werde ich,
auch Bromios. Alles Weitere enthüllt sich dann.

4. Stasimon (Standlied, 977–1023)

(A) Stürmt rasch zum Berg, Lyssas Meute, stürmt zum Berg,
wo Kadmos’ Töchter ihr Schwarmfest begehn!
Stachelt auf sie gegen
980den Mann in Weibertracht, der, im Wahn,
die Mainaden belauert.
Zuerst sieht ihn die Mutter, wie er von hohem Fels
oder Tanne herabspäht,
und ruft den Bakchen zu:
„Wer kam als Späher
der bergschweifenden Kadmeer ins Gebirg, ins Gebirg,
ihr Bakchen, wer brachte zur Welt ihn?
Nicht ja hat ihn ein
Weib geboren, nein, einer Löwin
990entstammt er oder einer libyschen Gorgo.

Eile sichtbar herbei, Rache, komm mit dem Schwert,
durchhaue mordend die Kehle ihm,
dem gottlosen, zuchtlosen, rechtlosen Erdensproß,
dem Sohn des Echion.

(Aa) Wer in rechtlosem Denken, frevelnder Wut
gegen deinen Dienst, Bakchos, der Mutter Weihn
rasend aufsteht,
verblendet tobt,
1000wer Unbesiegbares machtvoll besiegen will,
den lehrt rechtes Denken über Göttliches
unerbittlich der Tod.
Wer sich menschlich bescheidet, lebt unbetrübt.
Maßvolle Klugheit neide ich Klugen nicht.
Gern streb’ ich nach allem weiteren Großen,
das offenbar ist. Es führt das Leben zum Schönen,
wenn einer Tag und Nacht
gerecht und fromm lebt, verwerfliche Bräuche
1010ablehnt und Götter ehrt.

Eile sichtbar herbei, Rache, komm mit dem Schwert,
durchhaue tötend die Kehle ihm,
dem gottlosen, zuchtlosen, rechtlosen Erdensproß,
dem Sohn des Echion!
(B) Erscheine, Bakchos, zeig dich als Stier oder als
vielköpfige Schlange oder als
feuerschnaubender Löwe!
1020Komm, Bakchos, wirf dem Bakchenjäger
lachenden Mundes den tödlichen Strick
um den Hals, wenn er der Mainaden Schar
nun in die Hand fällt!

5. Epeisodion (Akt, 1024–1152)

Bote.
O Haus, das einst in Hellas als höchst glücklich galt,
gegründet von dem Greis aus Sidon, der zur Erdgeburt
die Saat der Drachenzähne in die Erde warf,
wie sehr beklage ich dich, zwar ein Sklave nur,
doch trifft der Herrschaft Not den guten Diener schwer.
Chor.
Was ist geschehn? Bringst Kunde von den Bakchen du?
Bote.
1030Ja. Tot ist Pentheus, er, der Sohn des Echion.
Chor.
O Bromios, Herr, du zeigst dich als ein großer Gott!
Bote.
Was sprichst du? Was solls’ heißen? Oder freut’s dich, Weib,
daß schweres Unheil über meine Herrschaft kam?
Chor.
Ich juble in barbarisch-fremdem Ton,
denn nicht mehr drückt die Angst vor Fesseln mich.
Bote.
Meinst du, in Theben gäb‘ es keine Männer mehr?
Chor.
Dionysos, nicht Theben herrscht nun über mich.
Bote.
Verständlich ist der Jubel, aber wenn man selbst
1040die Untat ausgeführt hat, ist er fehl am Platz.
Chor.
Berichte mir, wie jener denn zu Tode kam,
der ungerecht war und der Ungerechtes tat!
Bote.
Als wir die Dörfer rings um Theben hinter uns
gelassen hatten, der Asopos überschritten war,
bestiegen wir den felsigen Kithairon-Berg,
wir: Pentheus, dazu ich, Begleiter meines Herrn,
und jener Fremde, der uns Spähern Führer war.
Zuerst nun setzten wir uns in ein Wiesental,
vermieden jedes Rascheln, jedes Wort, um ja
1050zu sehn, gesehn zu werden aber nicht.
Es war ein Tal, tief eingeschnitten, wo ein Bach
dahinfloß, Fichten Schatten boten, und die Fraun
beisammen saßen in vergnügter Tätigkeit.
Die einen nämlich krönten ihren Thyrsosstab
von neuem mit des Epheu Laub, doch andere,
wie Fohlen munter, die befreit vom bunten Joch,
die sangen sich ein Bakchos-Lied im Wechsel zu.

Der arme Pentheus aber, der den Weiberschwarm nicht sah,
sprach nun zum Fremden: „Wo wir stehen, kann ich nichts
1060vom frevlen Treiben dort bei den Mainaden sehn.
Ersteig ich auf der Höhe einer Fichte Stamm,
dann seh ich besser, was die Weiber Übles tun.“
Dann sah ich, wie der Fremde höchst Erstaunliches trieb:
Er faßt den Wipfel einer Fichte, die zum Himmel ragt,
bog ihn nach unten, bog ihn bis zum dunklen Grund.
Kreisförmig fügt der Baum zu einem Bogen sich,
ganz wie ein Rad, das rund ist wie des Zirkels Kreis.
So zog der Mann den Wipfel dieses Baums herab,
beugt ihn zur Erde, wie’s kein Sterblicher vermag.
1070Den Pentheus setzt er in den Fichtenwipfel ein
und ließ den Baum nach oben gleiten durch die Hand,
ganz sacht, so daß er Pentheus nicht herunter warf.
Nun ragte dieser Baum hoch in die Luft empor
und trug auf seinem Rücken meinen hohen Herrn.
Doch sah man ihn, bevor er die Mainaden sah.
Denn als er kaum auf seinem Ausguck sichtbar war
und auch der Fremde ohne eine Spur verschwand,
erschallte aus der Höhe eine Stimme, die,
ich denke, von Dionysos kam: „Ihr jungen Fraun,
1080da habt ihr ihn, der euch und mich und meine Weihn
zum Spott gemacht. Auf! Führt ihn seiner Strafe zu!“
Noch während er so rief, erglomm ein hehres Licht,
ein Feuer, das vom Himmel bis zur Erde reicht.

Still war der Äther, still war auch im Tal das Laub
des Waldes, und kein Tier gab auch nur einen Laut.
Die Frauen hatten jenen Ruf nicht recht gehört,
erhoben sich und sahen spähend rings umher.
Doch jener rief von neuem, und als den Befehl
die Kadmos-Töchter recht verstanden, stoben sie
1090so ungestüm wie eine Taubenschar empor
und rannten los in angestrengtem Lauf,
Agaue, Pentheus’ Mutter, deren Schwestern auch.
Die Bakchen übersprangen rasch den Bach im Tal,
in Raserei versetzt durch jenes Gottes Hauch.
Als sie den Herrscher oben in der Fichte sahn,
da warfen Steine sie nach ihm mit aller Kraft,
erklommen einen Felsturm, der daneben stand,
und sandten Fichtenzweige, Speeren gleich, nach ihm.
Noch andre warfen Thyrsosstäbe durch die Luft
1100nach Pentheus, diesem Unheils-Ziel. Sie trafen nicht,
denn höher als die Kraft des Eifers reichte, saß
der Elendsmann in seiner ausweglosen Not.
Am Ende gruben sie mit Eichenästen an
den Wurzeln – Eisenhebel waren’s freilich nicht.
Doch als sie an das Ziel der Mühe nicht gelangt,
rief nun Agaue: „Stellt, Mainaden, euch zum Kreis
und faßt den Stamm, damit wir droben dieses Wild
erjagen, daß es nicht des Gotts geheimen Tanz
verraten kann!“ Und tausend Hände packten nun
1110die Fichte, rissen aus dem Erdgrund sie.
Pentheus, der oben saß, stürzt aus der Höhe gleich
herab und fiel mit tausend Jammerrufen nun
zu Boden, fühlt er doch sein Unheil nahn.
Als erste fiel die Mutter-Priesterin ihn an,
begann das Schlachten. Er riß sich die Binde ab.
Erkennen sollt’ Agaue und verschonen ihn,
das Unheilsweib. Er rührte ihre Wange an
und rief: „Ich bin’s doch, Mutter, Pentheus, ich, dein Sohn,
den einst du in Echions Haus geboren hast!
1120Hab Mitleid mit mir, Mutter, töte nicht für das,
was in der Torheit ich gefehlt, den eignen Sohn!“
Schaum aber trat ihr vor den Mund, das Auge rollt
unstet, und ganz verblendet war ihr wirrer Sinn,
besessen ganz von Bakchos. Pentheus fleht umsonst.
Sie faßt des Mannes linken Arm und stemmt den Fuß
dem Armen auf die Rippen, riß die Schulter ihm
heraus, doch nicht aus eigner Kraft; es war der Gott,
der ihre Hände all dies leicht vollbringen ließ.
Sodann ging Ino rechts ans Werk und riß mit Macht
1130ihm Fleisch heraus. Autonoe und die ganze Schar
der Bakchen griff ihn an, und alles schrie zugleich.
Das Opfer stöhnte laut, so lang ihm Atem blieb.
Die Bakchen waren voller Jubel. Eine trug
den Arm, die andere seinen Fuß noch mit dem Schuh;
die Rippen lagen frei. Die Weiber, blutbefleckt,
sie spielten mit dem Fleisch des toten Pentheus Ball.
Zerstreut liegt nun sein Leib, teils unter rauhem Stein,
teils auch im Waldes-Dickicht unter vielem Laub,
nicht leicht zu finden. Doch des Unglückseligen Haupt
1140ergriff mit beiden Händen seine Mutter nun
und steckt es auf die Spitze ihres Thyrsosstabs.
Sie meint, sie trüge des Berglöwen Haupt auf dem
Kithairon, ließ die Schwestern dort beim Tanz zurück.
Voll Stolz auf ihre Unglücksbeute kommt sie her,
betritt den Mauerring der Stadt, preist Bakchos laut
als „Jagdgefährten, Helfer bei der Hatz und als
den Siegverleiher“ – Tränen freilich sind der Preis.
Ich aber halte mich von diesem Gräuel fern,
geh fort, bevor Agaue zum Palast hier kommt.
1150Besonnenheit und Ehrfurcht vor der Götter Macht,
dies ist das Beste, ist für alle Menschen auch
die höchste Weisheit, der man immer folgen soll.

5. Stasimon (Standlied, 1153–1164)

Laßt uns tanzen für Bakchos,
laßt jubeln uns über das Leid,
das den Enkel der Schlange, Pentheus, traf,
der sich Weibertracht anlegte,
den schmucken Thyrsos trug,
der ihm sicheren Tod gebracht.
Ihn führte der Stier ins Unheil.
1160Bakchen von Theben,
verwandelt habt ihr den Ruhm- und Siegessang
in Jammer und Tränen.
Welch schöner Preis, die triefende Hand
ins Blut des Sohnes zu tauchen!
Doch seh Agaue ich, des Pentheus Mutter, die
im Laufe zum Palast eilt mit verwirrtem Blick.
Empfanget freundlich jenes Jubelgottes Schwarm!

Exodos (Schluß, 1165–1392)

Wechsellied (Chor und Agaue)
Agaue.
(A) Asiatische Bakchen!
Chor.
Was rufst du mich, Frau?
Agaue.
Ich bring vom Gebirg
1170die frisch geschnittene Ranke ins Haus,
glückhafte Beute.
Chor.
Ich seh’s. Gern nehm ich dich in unserem Schwarme auf.
Agaue.
Ich faßte dies hier ohne Netz,
eines <wilden Löwen> Junges,
wie ihr es ja seht.
Chor.
Wo in der Wildnis?
Agaue.
Kithairon ...
Chor.
Kithairon?
Agaue.
bracht ihm den Tod.
Chor.
Wer warf ihn nieder?
Agaue.
Als Erster gebührt mir der Ruhm,
1180„selige Agaue“ nennt mich der Schwarm.
Chor.
Wer sonst noch?
Agaue .
Des Kadmos ...
Chor.
Des Kadmos?
Agaue.
Die Töchter.
Nach mir, erst nach mir
ergriffen sie das Tier. Glückhaft war unsre Jagd.
Chor.
...
Agaue.
(Aa B) Nimm teil nun am Mahl!
Chor .
Wie? Teilnehmen? Ich? Unselige, ach!
Agaue.
Jung ist das Kalb. Eben
erst sproßt ihm unter weicher Mähne
flaumiger Bart am Kinn.
Chor.
Als Wildtier weist ihn die Mähne aus.
Agaue.
Bakchos, der kluge Jäger,
1190klug hetzt er auf dieses
Tier die Mainaden.
Chor.
Ja! Unser Herr ist ein Jäger!
Agaue.
Lobst du auch mich?
Chor.
Dir gilt mein Lob.
Agaue.
Bald werden die Thebaner ...
Chor.
Gewiß auch Pentheus, dein Sohn ...

Agaue.
die Mutter loben,
die das Löwenjunge erjagte.
Chor.
Vortreffliche Beute!
Agaue.
Vortrefflich erjagt!
Chor.
Da bist du wohl stolz?
Agaue.
Ich bin voll Freude,
weil ich Großes, Großes und
Herrliches durch meine Jagd vollbracht.
Chor.
1200Zeig nun, du Arme, allen Bürgern dieser Stadt
die Jagd- und Siegesbeute, die du heimgebracht!
Agaue.
Bewohner ihr der türmereichen Theben-Stadt,
kommt her, beschaut euch dieses edle Wild, das wir,
des Kadmos Töchter, uns erlegt, und dies ja nicht
mit der Thessaler Lanze, dran die Schlaufe hängt,
und nicht mit Netzen, sondern mit den Nägeln an
den weißen Händen. Muß man Speere werfen und
sich unnütz Waffen kaufen erst beim Lanzenschmied?
Wir nämlich fingen dieses Tier mit bloßer Hand,
1210zerrissen seinen Leib in Stücke, Glied um Glied.
Wo ist mein greiser Vater? Käm’ er doch herbei!
Und wo ist mein Sohn Pentheus? Dieser hole gleich
die Sprossenleiter, lehne sie ans Haus, steig hoch
und nagle ans Triglyphenband das Löwenhaupt,
das ich erjagte und als Beute hergebracht.
Kadmos.
Folgt, Diener, mir, die ihr die jammervolle Last
des toten Pentheus tragt, folgt zum Palaste mir!
Den Körper fand mit tausendfacher Mühe ich
und bring ihn her; entdeckt hatt’ ich ihn ganz zerstückt
in des Kithairon Schluchten. Sonst gewahrt ich nichts
1220an diesem Ort, der schwer auffindbar liegt im Wald.
Vom Schreckenstreiben meiner Töchter hört ich erst,
als ich zurückkam von den Bakchen mit Teiresias,
dem Greis, und mich schon hier im Mauerring befand.
Da ging ich nochmal auf den Berg zurück
und sucht den Sohn, den die Mainaden umgebracht.
Ich sah Autonoe, Mutter des Aktaion, dort,
den sie dem Aristaion einst gebar, dazu Ino.
Die Armen rasten wütend dort im Eichenwald.
1230Agaue aber, sagt mir einer, sei hierher
gekommen, bakchisch taumelnd, und so war es auch.
Ich seh sie ja, ein Anblick, der von Unheil spricht.
Agaue.
Du, Vater, darfst dich höchlich rühmen, daß du ja
von allen Sterblichen die besten Töchter hast.
Ich meine alle, doch vor allen mich, die ich
das Weberschiff beim Webstuhl ließ und höhere Tat
ausführte, Jagd auf Tiere mit der bloßen Hand.
Nun trag ich auf den Armen, wie du siehst, den Preis,
den ich errang und der am Haus gleich hängen soll.
1240Empfange, Vater, nun mit beiden Händen ihn,
von Stolz erfüllt auf die Trophäe meiner Jagd.
Zum Festmahl ruf die Freunde, bist du doch beglückt,
beglückt bist du, weil ich so große Tat vollbracht.
Kadmos.
Wie unermeßlich ist dies Leid, nicht anzusehn,
der Mord, den mit unseligen Händen du vollbracht!
Ein schönes Opfer schlachtetest den Göttern du
und lädst ganz Theben und auch mich zum Festmahl ein.
Wie hat der Gott uns zwar gerecht, doch allzu hart
1250zermalmt, Herr Bromios, der uns doch so nah verwandt!
Agaue.
Wie macht das Alter Menschen doch vergrämt und läßt
sie allzu mürrisch dreinsehn! Wäre doch mein Sohn
ein rechter Jäger, schlüge seiner Mutter nach
und ginge frisch mit Thebens Jugend auf die Jagd
nach wilden Tieren. Aber nein! Er taugt allein
zum Kampf mit Göttern. Bringe, Vater, ihn doch zur
Vernunft! Wer ruft ihn denn herbei, damit er mich
im vollen Glanze meines Glücks hier sehen kann?
Kadmos.
O weh! Begreift ihr erst das Ausmaß eurer Tat,
1260wird euer Leid unendlich sein. Bleibt euch jedoch
erhalten jener Zustand, der euch jetzt umfängt,
seid ihr unselig, meint jedoch, es nicht zu sein.
Agaue.
Was ist denn hier nicht recht, was bringt hier Schmerz?
Kadmos.
Zuerst nun: Lenk hinauf zum Äther deinen Blick!
Agaue.
Nun gut. Weshalb befiehlst du mir hinaufzuschaun?
Kadmos.
Ist er wie immer? Kommt er dir verändert vor?
Agaue.
Sein Glanz ist höher, klarer ist er als bisher.
Kadmos.
Und die Verwirrung deiner Seele, währt sie noch?
Agaue.
Ich weiß nicht, was du meinst, doch komm ich nun zu mir
1270und spüre, daß mein Sinn sich ganz gewandelt hat.
Kadmos.
Verstehst du mich nun, gibst mir klare Antwort auch?
Agaue.
Was eben wir besprachen, Vater, weiß ich schon nicht mehr.
Kadmos.
In wessen Haus kamst du an deinem Hochzeitstag?
Agaue.
Dem Sohn der Saat, Echion, heißt es, gabst du mich.
Kadmos.
Wie hieß der Sohn, den du dem Mann im Haus gebarst?
Agaue.
Es war doch Pentheus, mein und seines Vaters Sohn.
Kadmos.
Und wessen Haupt trägst du in deinen Händen hier?
Agaue.
Ein Löwenhaupt, so sagten Jagdgefährtinnen.
Kadmos.
Sieh es dir recht an, wenig Mühe macht es dir!
Agaue.
1280Was seh ich? Ach, was trag in meinen Händen ich?
Kadmos.
Schau nur genau hin und erkenne, was es ist!
Agaue.
Ich Arme sehe hier, was mich unendlich schmerzt.
Kadmos.
Scheint es dir jetzt noch einem Löwen gleich zu sein?
Agaue.
Ach nein! O weh! Ich Arme trage Pentheus’ Haupt.
Kadmos.
Ich mußt es längst bejammern, eh du es erkannt.
Agaue.
Wer tötet ihn? Wie kam sein Haupt in meine Hand?
Kadmos.
Unselige Wahrheit! Allzu spät kommst du ans Licht.
Agaue.
Sprich sie nur aus, doch bebt mein Herz vor dem, was kommt.
Kadmos.
Du selbst erschlugst ihn; deine Schwestern halfen mit.
Agaue.
1290Wo starb er? Wars im Hause? Wars an anderem Ort?
Kadmos.
Dort, wo die Meute den Aktaion einst zerriß.
Agaue.
Weshalb stieg denn der Ärmste zum Kithairon auf?

Kadmos.
Zu höhnen dort den Gott und deinen Bakchosdienst.
Agaue.
Doch wie gelangten wir an jenen Unheilsort?
Kadmos.
Ihr rastet. Bakchos’ Toben faßt die ganze Stadt.
Agaue.
Vernichtet hat uns Bakchos. Nun begreif ich es.
Kadmos.
Gekränkt habt ihr ihn, nicht als Gott ihn anerkannt.
Agaue.
Wo ist, o Vater, meines lieben Sohnes Leib?
Kadmos.
Ich hab ihn mühsam aufgesucht und bring ihn hier.
Agaue.
1300Liegt alles schön geordnet da, liegt Glied bei Glied?
– – – – [Lücke]
Wie war des Pentheus Anteil nun an meinem Wahn?
Kadmos.
Er handelte wie ihr; er ehrte nicht den Gott
und stürzte dadurch alle in die gleiche Not,
euch und mich selbst; zerschmettert ist das ganze Haus
und ich dazu, ich hatte niemals einen Sohn
und muß nun sehn, unseliges Weib, wie hier dein Kind
so schändlich und so schrecklich zugerichtet liegt.
Durch dich, mein Sohn, kam Licht in unser Haus; du hieltst
mein Haus zusammen, warst ja meiner Tochter Kind.
1310Auch warst der Schrecken du der Stadt, denn niemand wagt
mich Alten zu verhöhnen, wenn er dich nur sah;
du hättest sicher nach Gebühr ihn streng bestraft.
Jetzt freilich jagt man mich mit Schande aus dem Haus,
den großen Kadmos, Sämann des Thebanervolks,
der hier die allerschönste Frucht geerntet hat.
Du liebster Mann – denn auch wenn du nun nicht mehr lebst,
giltst du mir als der Allerliebste, du, mein Kind –
nicht mehr wirst du das Kinn mir streicheln mit der Hand,
Großväterchen mich nennen, an mich schmiegen dich
1320und fragen: „Wer tut Unrecht dir, beleidigt dich,
den Greis, wer kränkt dich und wer macht das Herz dir schwer?
Sag mir’s, ich will den strafen, der dir Unrecht tut!“
Nun bin ich tief unselig, du bejammernswert,
die Mutter zu beklagen und die Schwestern leidgebeugt.
Wenn einer aber frevlen Muts den Göttern trotzt,
blick er auf diesen Toten, glaube, daß es Götter gibt!
Chor.
Dein Los zwar schmerzt mich, Kadmos, doch den Enkel traf
gerechte Strafe, mag sie dir auch leidvoll sein.
Agaue.
Du siehst ja, Vater, wie mein Los sich wandelte.
[In der folgenden großen Lücke der Handschrift setzte Agaue ihre Klage fort. Dann erschien Dionysos über dem Palast, um Kadmos, seinen Töchtern und den Thebanern ihr künftiges Los zu verkünden: Die Thebaner werden vertrieben und versklavt. Agaue und ihre Schwestern müssen – als Mörderinnen – die Stadt ver-lassen. Auch Kadmos muß fort; er wird verwandelt:]
1330Zur Schlange wirst du werden; auch Harmonia,
des Ares Tochter, wird zur Schlange, sie, die du,
obschon ein Mensch nur, einst zum Weibe nahmst.
Dann fährst du mit der Gattin, so der Spruch des Zeus,
auf einem Ochsenwagen, führst Barbaren an,
zerstörst auch viele Städte mit zahllosem Heer.
Doch wenn sie die Orakelstätte des Apoll
ausplündern, wird die Heimkehr ihnen schrecklich sein.
Doch davor rettet Ares dich und deine Frau,
weist euch das Land der Seligen zum Wohnsitz an.
1340Dies künde ich euch nicht wie eines Menschen Sohn,
Dionysos, ich, der Sohn des Zeus. Ach! hättet ihr
Vernunft gezeigt – was ihr nicht wolltet – wäret ihr
beglückt, da euch der Sohn des Zeus ein Beistand wär.
Kadmos.
Wir flehn dich an, Dionysos, die wir dich gekränkt.
Dionysos.
Zu spät! Nicht, als ihr mußtet, habt ihr mich erkannt.
Kadmos.
Wir sehn es ein, doch strafst du uns nun allzu hart.

Dionysos.
Beleidigt habt ihr mich, obwohl ein Gott ich bin.
Kadmos.
Im Zorn verharren sollen Götter nicht, wie Menschen tun.
Dionysos.
Längst schon gebilligt hat mein Tun der Vater Zeus.
Agaue.
1350Dann, Vater, wehe! Not und Flucht sind uns verhängt.
Dionysos.
Was säumt ihr also, wenn es doch so kommen muß?
Kadmos.
O weh, mein Kind, in welche Not gerieten wir,
<wir alle>, du, die Arme, und die Schwestern dein,
auch ich Unseliger. Denn als alter Mann muß ich,
ein Fremder, nun zu Fremden, und ein Götterspruch
heißt mich Barbaren führen ins Hellenenland.
Ich werd’ Harmonia, meine Frau, des Ares Kind,
ich selbst als Schlange, sie als wilde Schlange auch
zu Hellas’ Gräbern und Altären führen, werd’
1360des Lanzenheeres Feldherr. Niemals wird für mich,
den Armen, Ende sein der Not, und selbst, wenn ich
den Acheron querte, finde ich zur Ruhe nicht.
Agaue.
Ach, Vater, ohne dich muß ich nun ins Exil.
Kadmos.
Weshalb umfängst du mich, mein armes Kind, so wie
ein junger Schwan sich an den alten, weißen, schmiegt?
Agaue.
Wo soll ich hin, da man mich aus der Heimat treibt?
Kadmos.
Ich weiß es nicht. Dein Vater ist ein schwacher Hort.
Agaue.
Leb wohl, mein Haus, leb wohl, meine Stadt!
Ich scheide von euch in tiefer Not,
1370vertrieben aus meinen Gemächern.
Kadmos.
Ziehe hin, mein Kind; des Aristaios
<Haus suche nun auf>
Agaue.
Ich klag um dich, Vater,
Kadmos.
ich wein um dich, Kind;
und die Schwestern auch.
Agaue.
Denn furchtbar rächend ließ solche Schmach
Gott Bakchos, der Herr, über dein Geschlecht
hereinbrechen jetzt.
Kadmos.
Doch litt er auch selbst viel Arges durch dich;
sein Name galt nichts in der Theben-Stadt.
Agaue.
Lebe wohl, Vater mein!
Kadmos.
Lebe wohl, armes Kind!
1380Wohl leben jedoch wirst du wohl kaum.
Agaue.
Führt hin mich, Begleiter, dorthin, wo ich
meine armen Schwestern, Mitflüchtige, treff!
Dorthin will ich gehen, wo Kithairon mich nicht,
befleckt von mir, erblicken kann,
und Kithairon mich nicht vor Augen hat.
Nicht will ich dorthin, wo ein Thyrsos mahnt;
Sache sei dies andrer Bakchanten.

In vielen Gestalten zeigt Göttliches sich.
Götter beschließen oft wider Erwarten.
1390Was wir erwartet, erfüllt sich nicht;
Wo nichts wir erhofften, fand Gott einen Weg.
So hat es sich nun auch diesmal gefügt.