von Otto und Eva Schönberger
Das kleine Buch Über die bildliche Darstellung von Gottheiten stammt vielleicht von einem Mönch Albricus oder Albericus in London, der es im 12. Jahrhundert verfaßte. Man schrieb es (wohl verfehlt) dem Benediktiner Pierre Bersuire (um 1290 – 1363) zu, einem Freund Petrarcas.
Die Schrift befaßt sich fast nur mit der Darstellung antiker Götter in bildender Kunst und Poesie und dient, wie Hederich von seinem mythologischen Werk sagt, „zu besserem Verständnisse der schönen Künste und Wissenschaften, … auch <für> viele Künstler und Liebhaber der alten Kunstwerke.“
Beschrieben werden in gedrängten Skizzen zuerst 7 Planetengötter, gefolgt von Minerva und weiteren Haupt- und Nebengöttern, denen sich in loser Ordnung (?) wichtige Halbgötter anschließen, besonders Hercules mit seinen 12 „Siegen“. Am Ende steht Ceres als Grundlage allen Lebens.
Größere Interpretationen der Gestalten finden (außer bei Hercules) nicht statt, doch bietet der Sprachausdruck gelegentlich kritische Ansätze, so wenn Saturn als erster der Götter nur „angenommen“ wurde (supponebatur) oder im VII, von „erdichteten“ Göttern die Rede ist. Auch die Etymologie dient manchmal der Erklärung. Wenn nun auch größere Einzelinterpretationen fehlen, bietet sich doch das ganze Werk als deutungsfähig an, und dabei mag die Bezeichnung Philosophus für Albricus (in der Ausgabe der Mythographen von 1681) dienlich sein, nennt nun Albricus sich selbst so oder wurde er so genannt.
Das Werk gehört nämlich in die „Zweite Renaissance“ des Mittelalters im 11./12. Jahrhundert, in der das christliche Element zwar vorherrschte, doch auch die Antike wieder entdeckt und als Bildungselement wirksam wurde. Antike Gedanken und Gestalten halfen zur Ergänzung des Wissens über die Welt, ja sogar zur Erweiterung des eigenen Wesens durch historische, mythologische, ästhetische Aneignungen. Diesem Streben dient Albricus, und der Beiname Philosoph wird dadurch programmatisch.
Andererseits galten Philosophen auch als Freigeister, ähnlich den Poeten. „Philosoph“ könnte also eine Auszeichnung oder eine Herausforderung sein. Insgesamt liegt jedoch der Hauptakzent auf der Erklärung von Inhalten und deren Darstellung, sowohl in der bildenden Kunst wie auch in der Dichtung (allerdings fällt die Erklärung der Taten des Hercules ganz in die moralisierende Interpretation des Mittelalters zurück und bildet einen Fremdkörper).
Albricus verdient den Beinamen Philosophus aber auch als Gelehrter, weil er mit großer Sorgfalt seine Quellen ausschrieb und ordnete. Er kannte sich in der antiken und spätantiken Literatur aus oder verwendete schon vorliegende Sammlungen, etwa mythologische Handbücher. Besondere Quellen sind wohl Vergil, Servius zu Vergil, Ovid, Isidor von Sevilla, Hyginus, Fulgentius und andere. Albricus verweist auch auf Quellen, etwa bei Minerva, die pingebatur a poetis.
Die Beschreibungen fassen manchmal mehrere Bilder oder Zeitstufen für eine Gestalt zusammen und könnten als Echo des sog. kontinuierenden Stils der Antike gelten. Insgesamt bietet das Werk des Albricus ein gewisses Résumé der alten Kunst und gibt deren Stoffe weiter, besonders an die Malerei des 15./16. Jahrhunderts.
Schon in der Handschrift Codex Vaticanus Reg. Lat. 1290 zeigt sich die anregende Wirkung des Werkes, denn dort ist jeweils nach einzelnen Capiteln eine Zeichnung der beschriebenen Inhalte eingefügt. Diese Bilder sind abgedruckt in dem Buch Fulgentius Metaforalis von H. Liebeschütz (Leipzig 1926; Studien der Bibliothek Warburg IV). Das Werk selbst wurde in mehr als 40 Handschriften verbreitet. Auch hat es später B. Hederich in seinem Mythologischen Lexikon (Leipzig 1770) vielfach benützt.
Zuerst wurde das Werk durch H. Petri (Basel 1543) ediert. Dann erschien es zusammen mit anderen in den Mythographi Latini, Paris 1578, ebenso in gleicher Reihe durch Th. Muncker (mit Kommentar), Amsterdam 1681, und durch v. Staveren, Leiden 1742, wohl auch in Scriptores rerum mythicarum Latini tres, Celle 1834. Eine Einzelausgabe bietet St. Orgel in Metamporphosis Ovidiana moraliter … explanata in: The Philosophy of Images, New York 1979. – Für die hier erstellte Übersetzung ist die von der Österreichischen Staatsbibliothek digitalisierte Ausgabe von Muncker, Amsterdam 1681, benützt.